2011-07-12

2011 – Das Weinjahr schlägt den Rekord bezüglich früher Reife

Die Hauptstadien in der Entwicklung der Rebsorte Chasselas werden seit 1925 im Zentrum Pully der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW beobachtet. Anhand dieser Daten kann der Einfluss der Klimaveränderung, insbesondere der aktuellen Erwärmung, auf den Wein unter den Klimabedingungen des Bassin Lémanique beurteilt werden. Die bislang im 2011 gemachten Beobachtungen schlagen praktisch alle Rekorde bezüglich Reifezeitpunkt und lassen eine extrem frühe Weinlese erahnen.

Extrem frühe Reife
Unter den in unseren Regionen angebauten Pflanzen gehört die Weinrebe sicherlich zu den Arten, die am empfindlichsten reagieren auf Klimaschwankungen während der Vegetationsperiode. Sie benötigt viel Wärme. Die meisten Rebsorten entwickeln sich erst bei Temperaturen über 10 °C. Der thermophile Charakter des Weins macht diese Pflanze für einen Klimahistoriker besonders interessant, wenn es darum geht, die Auswirkungen der weltweiten Klimaerwärmung, die wir derzeit zu spüren bekommen, zu untersuchen. Mehrere, vor allem in Frankreich und Deutschland durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass die Hauptstadien der Entwicklung der Weinrebe derzeit durchschnittlich 15 Tage früher als in den Jahren zwischen 1960 und 1970 einsetzen. In der Vergangenheit gemachte Beobachtungen zeigen bereits einige aussergewöhnliche Jahre hinsichtlich der frühen Reife bei den Weintrauben. Die Verzeichnisse der deutschen Weinbauregionen enthalten Eintragungen über eine extrem früh eingesetzte Blüte im April in den Jahren 1289, 1328, 1420, 1473, 1540 oder auch über eine extrem frühe Weinlesen im August 1183, 1186, 1297, 1420, 1473 und 1540. Dennoch scheint das Jahr 2011 seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen der Entwicklung der Weinreben eine ganz aussergewöhnliche Stellung in Westeuropa einzunehmen (abgesehen vom Mittelmeerbecken). Die Beobachtungen anhand strikt festgelegter Hauptstadien werden vor allem in den verschiedenen Forschungsinstituten für Weinbau vorgenommen.

Situation im Bassin Lémanique
Da die Beobachtungsreihe von ACW in Pully, die repräsentativ für die Klimabedingungen des Bassin Lémanique ist, bereits seit 86 Jahren läuft, ist sie von ganz besonderem Interesse. Die Eintragungen für die Rebsorte Chasselas zeigen während dieser Zeitspanne die folgenden durchschnittlichen Daten: 13. April - Spriessen der jungen Triebe, 15. Juni - Beginn der Weinblüte, 29. Juni - Ende der Weinblüte, 14. August - Beginn der Traubenreife, 9. Oktober - Beginn der Lese.

2011 fand das Spriessen der jungen Triebe am 9. April statt, also nahe dem durchschnittlichen Datum. Aufgrund des aussergewöhnlich warmen Frühlings (der wärmste seit Beginn der Messungen von Meteosuisse im Jahr 1864) wurde der Beginn der Blüte am 25. Mai vermerkt. Ein solcher Rekord wurde bereits 1948 verzeichnet. In Pully kommt ein Beginn der Blüte im Mai extrem selten vor und wurde mit Ausnahme von 2011 nur in den Jahren 1943, 1945, 1946, 1947, 1948, 1959 und 2007 verzeichnet. Bei besonders günstigen Wetterbedingungen dauerte die Blüte nur 10 Tage, während ihre durchschnittliche Dauer zwei Wochen beträgt. Der 6. Juni 2011, Ende der Blüte, hält den absoluten Rekord hinsichtlich der frühen Reife und übertrifft das Jahr 2003 um einen Tag, das Jahr 2007 um 3 Tage, das Jahr 2009 um eine Woche und das schlechte Jahr 1980 um anderthalb Monate!

Wann beginnt die Weinlese ?
Durch die Beobachtungen von Pully können wir eine durchschnittliche Dauer von 46 Tagen für den Zeitraum zwischen Ende der Blüte und Beginn der Traubenreife ermitteln. Dabei gibt es Extremdaten von 32 Tagen im Jahr 1959 (sehr heisser Sommer) und 70 Tagen im Jahr 1939 (kalter und verregneter Sommer). Bei normalen Wetterbedingungen im Juli könnte die Traubenreife in den letzten zehn Tagen des Juli einsetzen. Das gab es nur in den Jahren 1943, 1945, 1947, 1952, 1953, 1959, 1976, 1989, 2003, 2007 und 2009. Die durchschnittliche Dauer zwischen Traubenreife und Weinlese lag bei 56 Tagen. Diese Dauer, die je nach Jahrgang ziemlich variiert, hängt nicht nur von den in diesem Zeitraum herrschenden Temperaturen, sondern auch von anderen Faktoren ab. So war diese Zeit beispielsweise 1939 bei sehr später Reife (20. September) sehr kurz (nur 36 Tage). Bei Schnee fand Ende Oktober die Lese der schlecht gereiften Trauben statt. In 2003 war die Zeit zwischen Reife und Lese ebenfalls sehr kurz (41 Tage), allerdings aus genau entgegengesetzten Gründen (Hitze und Trockenheit). Stützt man sich für das Ende der Weinbausaison auf durchschnittliche Bedingungen, kann man mit einer Weinlese gegen Mitte September für die Rebsorte Chasselas in den Gegenden des Bassin Lémanique und sicherlich gegen Anfang bis Mitte September für die früheren Rebsorten wie Pinot Noir rechnen. Je nach Wetterlage oder Schädlingsbefall der Reben (Graufäule oder Essigfäule) lässt sich die Prognose im Laufe des Sommers dann noch genauer aufstellen.

 

 


 

Adresse für Rückfragen:
Jean-Laurent Spring, Fachgruppenleiter, Forschungsgruppe Weinbau DR15
Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW
Postfach 1012, 1260 Nyon, Schweiz
jean-laurent.spring@acw.admin.ch
+41 (0)21 721 15 63, +41 (0) 79 659 47 63

Olivier Viret, Forschungsbereichsleiter in Pflanzenschutz Ackerkulturen und Reben / Rebbau und Oenologie (DR15)
Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW
Postfach 1012, 1260 Nyon, Schweiz
olivier.viret@acw.admin.ch
+41 (0)22 363 43 82

Judith Auer, Fachgruppenleiterin Kommunikation
Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW
Postfach 1012, 1260 Nyon, Schweiz
judith.auer@acw.admin.ch
+41 (0)22 363 41 82, +41 (0)79 659 47 91


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