2015-10-12

Erste Aargauer Winzerin gibt Rebberg ab

Susanne Birchmeier und ihr Mann Stefan verkaufen ihr bekanntes Weingut im Schenkenbergertal: «Wir hören früher auf, weil wir für die Nachfolge die perfekte Lösung gefunden haben, die für alle Beteiligten jetzt stimmt.» Nun gehts nach Endingen.



Susanne Birchmeier liebte nicht nur die Ruhe im Rebberg, sondern auch den Kontakt zu den Kunden. (Bild: Sandra Ardizzone)

«Mein Grossvater war der erste hauptberufliche Weinbauer im Schenkenbergertal», blickt Susanne Birchmeier mit Stolz auf die Familientradition zurück. Schon in den 1940er-Jahren hat Emil Hartmann mit Traubensaft begonnen, in Schinznach-Dorf, gleich gegenüber dem Gasthof Bären. Den Weinbau weitete er derart geschickt aus, dass alle drei Kinder einen eigenen Betrieb aufbauen konnten.

Als jüngster Sohn hat Emil junior das Elternhaus übernommen, Ruedi Hartmann hat die Trotte am Talbachweg in Schinznach aufgebaut, die heute von Claudio und Kathrin Hartmann unter dem Label ck-Weine geführt wird.

Susannes Mutter Helene Keller-Hartmann pflegte «im Chalm» in Oberflachs zusammen mit ihrem Mann Ruedi die Reben und baute das dazu nötige Haus. «Hier bin ich aufgewachsen», sagt Susanne Birchmeier, die am Winzerweg 19 wohnt. Einen schöneren Platz kann man sich kaum vorstellen, gleich neben dem Haus Rebberge, die jetzt im Herbstgold zu leuchten beginnen.

Auf Umweg zum Traumberuf
Obwohl sie «schon als Kind von den Reben fasziniert war», ging es nicht direkt zu diesem Traumberuf. Denn ihr Klassenlehrer riet ihr in der Bezirksschule dringend davon ab, Winzerin zu werden. Bei diesen guten Noten müsse sie doch die Kantonsschule besuchen, was Susanne auch tat. Dann stand sie erneut vor einer wichtigen Weichenstellung: Winzerin oder Studium und entschied sich für die ETH und Agronomie. Auf einem Bauernhof im Fricktal, bei Milchkühen und Kirschen, gefiel es ihr so gut, dass sie sich für die Natur und gegen fünf weitere Jahre im Lernkäfig entschied.
Deshalb brach sie nach einem Semester das Studium ab, fand Lehrstellen bei Winzern in Tüscherz bei Twann am Bielersee, später in Stäfa und wurde in Wädenswil zur Winzerin ausgebildet.
Die Schule als Betriebsleiterin folgte 1988 bis 1990 am gleichen Ort. Auf dem Meisterdiplom an der Wand heisst sie noch Susanne Keller. «Eine Woche später heiratete ich Stefan Birchmeier vom Loohof in Endingen», erzählt sie im hellen Gästestübli, das die Weinbauern vor 23 Jahren neben dem Verkaufsladen eröffnet haben.

Für die Leute in Oberflachs war längst klar, dass der Winzerberuf hervorragend zu Susanne passen würde. Obwohl sie als erste Aargauerin Winzerin wurde, fühlte sie sich nie als Exotin. Von den 20 Personen in der Ausbildung waren nur zwei Frauen. Bis heute ist der Beruf eine Männerdomäne geblieben, obwohl bekannt ist, dass Frauen über eine ausgezeichnete Sensorik verfügen. Immerhin gibt es heute im Kanton, im Land und weltweit viele Winzerinnen, die hervorragende Weine keltern und über einen entsprechend guten Ruf verfügen.

«Perfekten Nachfolger gefunden»
An diesem vielfältigen Beruf liebt Susanne Birchmeier nicht nur die Ruhe im Rebberg mit der immer neuen Natur im Gang der Jahreszeiten, sondern auch den Kontakt zu den Kunden und anderen Menschen. Der Direktverkauf ist «offen, wenn wir da sind oder auf Abmachung». Den Laden würde sie wieder eröffnen, er hilft bei der Vermarktung, ebenso die Rebpatenschaft. Für fünf Jahre kann man sich selber oder einem lieben Menschen einen Rebstock schenken – «und damit ein Stück Natur und Genuss».

Was das Rebgut Birchmeier seinen Kunden und Freunden geschrieben hat, spürt man im persönlichen Gespräch: «23 Jahrgänge haben wir mit Herzblut, Begeisterung und vollem Einsatz zur Reife gebracht».
Warum aber bleiben die erst 52-jährige Winzerin und ihr um fünf Jahre älterer Mann nicht länger auf dem schönen Weinbaugut?
«Wir hören früher auf, weil wir für die Nachfolge die perfekte Lösung gefunden haben, die für alle Beteiligten jetzt stimmt», erklärt Susanne Birchmeier. Mangels eigener Kinder ist eine direkte Weiterführung in der Familie nicht möglich. Zwei Cousins haben aber beide Winzer studiert, Claudio Hartmann von ck-Weine übernahm den väterlichen Betrieb in Schinznach-Dorf.

Und per Anfang 2016 kann sein jüngerer Bruder Adrian Hartmann das Weingut in Oberflachs weiterführen. Eine lange Übergangszeit lindert die spürbare Wehmut: Birchmeiers bleiben noch anderthalb Jahre hier und verkaufen ihre Weine bis und mit Jahrgang 2014. Aus der wunderbaren Ernte des Traumjahrgangs 2015 wird der neue Besitzer seine ersten Weine keltern.

Auch nach der langen Übergangszeit wird die erste Aargauer Winzerin in Teilzeit nach Bedarf ihre liebste Tätigkeit weiter ausüben können. Zusammen mit ihrem Mann zieht sie auf den Loohof in Endingen, wo sie schon einmal zehn Jahre gelebt und sich sehr wohl gefühlt hat.
«Nein, nein», sagt sie, «einen Bauernbetrieb wollen wir dort nicht führen, es geht nur um den Wohnort».

Stefan Birchmeier hat als Baumschneider in der Region ein eigenes Geschäft und wird dieses weiterhin betreiben. Von Endingen nach Oberflachs sei es keine Weltreise, meint Susanne Birchmeier zu dem ihr bestens bekannten Pendlerweg vom Surbtal ins Schenkenbergertal.

Quelle: az Aargauer Zeitung/Hans Lüthi


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Breites Sortiment:

Aus sechs Rebsorten entstehen zwölf Weine

Früher gab es fast nur die Traubensorten Riesling-Sylvaner und Blauburgunder. Den Wandel zu mehr Spezialitäten, begrenzter Menge und höchster Qualität hat Susanne Birchmeier hautnah miterlebt. Der inklusive 30 Aren Pacht auf 4,3 Hektaren ausgebaute Weinbetrieb am Winzerweg 19 in Oberflachs macht aus sechs Traubensorten zwölf Weine. «Als wir 1993 die ersten Charmont anpflanzten, brauchten wir vom Kanton noch eine Sonderbewilligung», sagt die Winzerin. Die rote Sorte Maréchal Foch eignet sich ideal für den Traubensaft. Im Birchmeier Rebgut gibt es neben Riesling-Sylvaner und Blauburgunder auch die zu sortenreinen Weinen gekelterten Garanoir und Zweigelt. Der Betrieb hat zudem eigenen Marc und Weinbrand.
Das Schenkenbergertal gehört heute mit fast 60 Hektaren Reben zu den grössten Weinbaugebieten im Kanton Aargau. Aus gegen 40 Rebsorten gibt es viele hervorragende Weine. Das Tal ist auch für seine ausgezeichnete Gastronomie bekannt. Die Konkurrenz unter Rebbauern ist für Susanne Birchmeier «Ansporn und Chance für gute Qualität». Das alle zwei Jahre stattfindende Räbefescht mit allen Winzern sorge bei aller Konkurrenz für einen guten Zusammenhalt.

Quelle: az Aargauer Zeitung/Hans Lüthi