2020-06-09

Corona – Reaktion der Schweizer Weinkonsumenten

Die durch die Corona-Pandemie verursachte Krise hat dramatische Auswirkungen auf viele Branchen, einschliesslich der Weinindustrie. Die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) erwartet für das Jahr 2020 einen Verkaufsrückgang von 35 Prozent beim Volumen respektive 50 Prozent beim Wert für Europa. In der Schweiz sind die Zahlen kaum besser. Der Umsatz der Weinindustrie ist laut Vereinigung Schweizer Weinhandel (VSW) während der Ausgangsbeschränkungen bereits um 35 Prozent gesunken. Die Wirtschaftstätigkeit hat nun wieder an Fahrt genommen, aber die Aussichten bleiben düster. Die Pandemie hat zur Annullierung oder Verschiebung vieler Sommerereignisse, die normalerweise erhebliche Umsätze generieren, geführt. Gastronomen haben in den letzten Monaten keine Weine verkauft und verfügen daher derzeit weder über die Notwendigkeit, noch über die finanziellen Mittel, um zusätzliche Weine zu kaufen.

Diese Situation deutet auf kurz-, mittel- und potenziell langfristige Schwierigkeiten für die Schweizer Weinindustrie hin: mangelnde Liquidität, wirtschaftliche und logistische Probleme (was ist mit der Ernte 2020 zu tun?), Wettbewerbsposition gegenüber ausländischen Weinen, deren Preise sicherlich sinken werden. Bordeaux-Weine von 2019 werden derzeit zu Preisen angeboten, die 10 bis 35 Prozent unter denen des Vorjahres liegen.

Um ein umfassenderes Bild der Situation und Perspektiven der Branche zu erhalten, haben die Ecole hôtelière de Lausanne und Changins, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Vereinigung der Weinökonomen (EuAWE), eine Studie zum Verhalten und den Erwartungen Schweizer Weinkonsumenten während der Ausgangsbeschränkungen durchgeführt.

Stichprobe und Profil der Befragten
Der Fragebogen erhielt insgesamt 927 Antworten aus der ganzen Schweiz. Die Befragten hatten die Wahl, auf Französisch (56 % der Befragten), Deutsch (21 %), Italienisch (12 %) und Englisch (11 %) zu antworten. Die überwiegende Mehrheit der Befragten lebt in der Schweiz (92 %) oder im benachbarten Frankreich (5 %). Die meisten englischsprachigen Befragten leben ebenfalls in der Schweiz und sind im tertiären Sektor beschäftigt. Wir können daher davon ausgehen, dass es sich hauptsächlich um Expats handelt. Die am meisten vertretenen Kantone sind die Waadt, das Wallis und das Tessin. Es folgen die anderen französischsprachigen Kantone und die grossen deutschsprachigen Kantone Bern, Luzern und Zürich.

Männer machen etwas mehr als die Hälfte der Befragten (58 %) aus, und die Altersgruppen zwischen 18 und 30, 31 und 40, 41 und 50 sowie 51 und 60 machen jeweils zwischen 20 % und 25 % der Antworten aus. Die über 61-Jährigen machen somit etwas mehr als 10 % der Befragten aus. Die Mehrheit der Befragten ist im tertiären Sektor tätig (70 %), lebt als Paar (54 %), ohne Kinder im Haushalt (69 %) und geniesst eine finanzielle Situation, die es ihnen ermöglicht, «bequem zu leben» (63 %).

In Bezug auf den Konsum geben 95 % der Befragten an, vor den Ausgangsbeschränkungen mindestens einmal im Monat Wein getrunken zu haben. Die Mehrheit ging auch mindestens einmal im Monat (92 %) in Restaurants. Viele Befragte nahmen zumindest gelegentlich an Weinverkostungen (84 %), Messen (77 %) oder offenen Weinkeller (76 %) teil und informieren sich über Wein auf Websites (48 %), in Zeitschriften (30 %), auf soziale Medien (27 %) und mittels Büchern (26 %).

Zusammenfassend:

  • Der Standardbefragte für diese Studie kann als Weinliebhaber bezeichnet werden.
  • Die Herkunft der Befragten spiegelt die Verteilung der Weinproduktion im Land wider.
  • Die Stichprobe scheint die Vielfalt der Schweizer Weinkonsumenten widerzuspiegeln.

Die Schweizer, insbesondere die Romands, konsumierten während der Ausgangsbeschränkungen mehr Wein
Abbildung 1 zeigt einen zunehmenden Trend beim Weinkonsum auf Kosten von Bier und Spirituosen. Wir sehen auch, dass die Menschen, die am unmittelbarsten von der Epidemie betroffen waren, diejenigen sind, die ihr Konsumprofil am meisten geändert haben. So hat die überwiegende Mehrheit der deutschsprachigen Befragten ihren Alkoholkonsum nicht verändert. Die Deutschschweiz hat ebenfalls eine Phase der Ausgangsbeschränkungen erlebt, aber die Inzidenzrate des Covid-19 (Quelle: OFSP, Daten vom 04.06.2020) mit Ausnahme von Basel und Graubünden war und bleibt tiefer als in der französischsprachigen Schweiz und dem Tessin. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass nur 20 % der Deutschsprachigen sich nach der Epidemie verwundbarer fühlen, gegenüber 30 % der Französischsprachigen beziehungsweise 29 % der Italienischsprachigen Bevölkerung.



Entstehung neuer Konsummuster
Abbildung 2 zeigt sowohl kulturelle Unterschiede zwischen Sprachregionen in Bezug auf Konsummuster, als auch die Auswirkungen sozialer Distanzierung auf denselben. Vor der Krise konsumierte die Mehrheit der Befragten häufig Wein im Kreise der Familie (87 %), mit Freunden (92 %) und Kollegen (51 %). In der italienischen Schweiz und bei Expats war es auch üblich, allein zu konsumieren (27 % bei Italienischsprachigen und 34 % bei Englischsprachigen). Auf der anderen Seite konsumierte fast niemand «digital».

Die Krise hat grosse Veränderungen gebracht. Der Konsum unter Freunden und Kollegen ist zusammengebrochen, aber nicht vollständig verschwunden – ein Spiegelbild der in der Schweiz praktizierten flexiblen Begrenzung. Fast ein Drittel der Befragten nimmt regelmässig an digitalen Weinverkostungen teil. Die Veränderung war besonders deutlich bei englischsprachigen Personen (Anstieg von 2 % auf 40 %). Dies erklärt sich zweifellos mit der besonderen Lage von Verwandten und Freunden im Ausland. Im Allgemeinen geben 67 % der Befragten an, seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen «digitale Zusammenkünfte organisiert oder an diesen teilgenommen zu haben, um mit der Familie oder Freunden ein Glas [Wein oder anderes] zu trinken». Aber nur 18 % erwarten, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Es scheint daher, dass dieses Konsummuster einen kurzlebigen Trend widerspiegelt der eng mit der Art der Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie verbunden ist.

Ein Anstieg des «solo» Verbrauchs ist ebenfalls zu beobachten. Dies lässt die Befürchtung eines Anstiegs des Risikokonsums (Abhängigkeit) aufkommen. Glücklicherweise, bleibt dieser Anstieg moderat (von durchschnittlich 20 % auf 26 % in der Stichprobe) und ist wahrscheinlich nur vorübergehend.

Verbraucher haben ihre Weinreserven angezapft
Beim Kauf erstehen 57 % der Schweizer Verbraucher Weine mit einem Preis zwischen 11 und 20 Franken und 24 % sind bereit, mehr als diesen Betrag für eine Flasche auszugeben. Diese Zahlen müssen jedoch nach Sprachregion differenziert betrachtet werden. Insbesondere Deutschsprachige, sind zum grössten Teil (58 %) nicht bereit, mehr als 10 Franken für eine Flasche Wein auszugeben.

Verbraucher nutzen drei Haupteinkaufskanäle: Supermärkte (85 % der Befragten kaufen dort mindestens einmal jährlich Wein), Fachgeschäfte (85 %) und Direktkäufe beim Weinproduzenten (80 %). Hier kristallisiert sich eine Stärke Schweizer Weinproduzenten heraus. In der Tat stellt der Direktvertrieb mehrere Vorteile dar: Kontaktlisten, die Winzer direkt für kommerzielle Aktionen nutzen können, engere Beziehung zwischen dem Produzenten und seinen Kunden – was die Loyalität letzterer verstärkt, weniger Zwischenhändler und eine direktere Kontrolle der Vertriebskanäle. In dieser Dimension ist jedoch ein wichtiger Unterschied zwischen den Regionen zu beachten: Während mehr als 80 % der Romands direkt bei Weinproduzenten einkaufen, tun dies weniger als 60 % der Deutschsprachigen.

Seit der Krise haben jedoch fast Dreiviertel der Befragten keinen Wein gekauft. Nur 30 % gaben an, Wein online gekauft zu haben, davon 6 % zum ersten Mal und 8 % mehr als üblich. Insgesamt war es daher nicht überraschend, dass die Befragten etwas weniger als gewöhnlich für Wein ausgegeben haben (22 % gaben mehr und 32 % weniger aus).

Insgesamt ging der oben erwähnte Verbrauchsanstieg daher zu Lasten der Verbraucherbestände. Diese Beobachtung steht im Einklang mit der Tatsache, dass die Mehrheit der Verbraucher einen Keller besitzt (81 %) und dass nur 16 % der Befragten eine Flasche weniger als eine Woche nach dem Kauf öffnen.

Welche Perspektiven?
Die Situation ist schwierig, Gastronomen und Verbraucher haben ihre Einkäufe reduziert und werden angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage wahrscheinlich in den kommenden Monaten abwartend reagieren. Fast Dreiviertel der Befragten sind, für sich und ihre Angehörigen, besorgt über die (nicht)wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise. Mehrere Faktoren fördern jedoch vorsichtigen Optimismus.

Erstens könnte die Nähe der Schweizer Winzer zu ihren Kunden ihnen helfen, die Krise zu überwinden. 73 % der Befragten leben in einem Zehn-Kilometer-Umkreis einer Weinregion und 82 % kennen zumindest einen Weinproduzenten persönlich. Mehr als ein Drittel der Befragten hat sogar Winzer unter seinen Freunden. Diese Zahlen sind noch ausgeprägter, wenn wir uns auf nicht Deutschschweizer Befragte konzentrieren, da nur 14 % der französischsprachigen und 5 % der italienischsprachigen Personen, keine Winzer kennen.

Zweitens hofft die Mehrheit der Verbraucher, zu ihren früheren Gewohnheiten zurückzukehren, sobald sich die Situation normalisiert hat. 91 % der Befragten planen, so viel Wein wie zuvor zu konsumieren, und etwas mehr als 5 % rechnen sogar mit einem Anstieg ihres Konsums. Wie Abbildung 3 zeigt, sollte dieser Anstieg vor allem für nationale Weine und in geringerem Masse für Bio-Weine interessant sein.

Schliesslich glauben 54 % der Befragten seit den Ausgangsbeschränkungen, dass sie «mehr lokalen Wein kaufen sollten, um lokale Produzenten zu unterstützen». Auch hier müssen je nach Region Unterschiede hervorgehoben werden: Französischsprachige und italienischsprachige Personen stimmen mit 65 % beziehungsweise 70 % dieser Aussage zu, während deutschsprachige dem mehrheitlich nicht zustimmen (45 % dagegen, 26 % einverstanden und 29 % neutral). Schweizer Weinproduzenten scheinen diesen Trend nutzen zu können und waren in sozialen Netzwerken sehr präsent, da mehr als die Hälfte der Befragten angibt, auf diesem Weg Angebote erhalten zu haben.

Es ist offensichtlich, dass die Schweizer Weinindustrie unter den negativen Auswirkungen der Pandemie gelitten hat und nach wie vor mit erheblichen Unsicherheiten konfrontiert ist. Die historische Nähe, die Schweizer Winzer zu ihren Kunden durch den Direktvertrieb pflegen, verbunden mit dem Wunsch – dessen Nachhaltigkeit noch bestätigt werden muss – lokaler zu konsumieren geben längerfristig Zuversicht.

Hinweis: Diese Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Europäischen Vereinigung der Weinökonomen (www.euawe.com) durchgeführt, die eine ähnliche Umfrage auf europäischer Ebene durchgeführt hat. Die Autoren der Schweizer Studie sind Philippe Masset, Alexandre Mondoux und Jean-Philippe Weisskopf.




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