2010-11-25

Rebe und Wein im Wallis

Kreiselvasen. Gefunden wurden die Vasen in Sembrancher, Sitten, Sembrancher und Riddes (v.l.n.r.). Die Vase aus Riddes ist eine Imitation von reduzierter Form, modelliert aus lokalem Lehm. Der höchste Behälter ist eine frühe Form der sogenannten Kreiselvasen aus dem frühen 2. Jht. v. Chr. Historisches Museum, Sitten. Foto: MVVV/R. Hofer

Wein braucht Geschichte

Jeder Wein wird aus Trauben gekelter, enthält Alkohol, und ist mehr oder weniger sauer. Das ist eine Tatsache. Doch Blütenduft, Fruchtgeschmack und Gewürznoten sind Sinneseindrücke, die nach und nach verblassen. In Erinnerung dagegen bleiben Legenden über die alte Rebsorte, die unkonventionelle Herstellung oder die Persönlichkeit des Winzers. Das schafft Identität. Damit erhält ein Wein seine Ursprünglichkeit, seine Heimat. Und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Für moderne Assemblagen und neue Weingüter legen sich die Winzer ein ganzes Repertoire an Mythen zurecht. Wein verkauft sich mit Emotionen viel besser als mit Tatsachen. Doch diese Tatsachen, über Generationen weitergegeben, ergänzt und ausgeschmückt, mutieren zu Geschichten, Legenden und Mythen.
Den Tatsachen auf der Spur haben Wissenschaftler bei ihren Recherchen für das Buch «Reben und Wein im Wallis – die Geschichte von den Anfängen bis heute» unverhoffte Entdeckungen gemacht: Nicht die Römer brachten die Reben ins Wallis. Reben waren im südlichen Alpental nachweislich seit der Eisenzeit heimisch. Das belegen Funde von Pflanzenteilen und Traubenkernen, die bei archäologischen Ausgrabungen in Gamsen gemacht worden sind und auf das Jahr 800 vor Christus datiert werden.

Rebberg von Platta, um 1890 (Sitten) Zeichnung von Louis de Cocatrix, um 1890. AEV, Xavier de Riedmatten, P1964.

23 Jahrhunderte Weingeschichte in einem Buch
Das Forschungsprojekt «Reben und Wein im Wallis» ist im Jahr 2002 in Angriff genommen worden. 30 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachrichtungen haben während sechs Jahren daran gearbeitet und dabei einige überraschende Entdeckungen gemacht. Aus den Ergebnissen ihrer Forschung ist ein Buch mit weit über 500 Seiten entstanden. Dieses erscheint nun in Deutscher Sprache.

Chamoson, 1935-1940. Foto: Benedikt Rast, BCU Freiburg.

«Heute wird mehr über Wein geredet, als dass er getrunken wird», schreibt Anne-Dominique Zufferey im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches «Reben und Wein im Wallis». Dass viele über Wein geredet wird, erlebt die Direktorin des Walliser Reb- und Weinmuseum täglich. «Die Geschichte der Rebe und des Weins im Wallis hat bisher vor allem aus vielen Legenden bestanden», sagt Zufferey und ergänzt: «Es erstaunt wie selten profunde Kenntnisse über die Vergangenheit dieses wichtigen Wirtschaftszweigs im grössten Weinbaukanton der Schweiz anzutreffen sind.» Und was nun die Forscher herausgefunden haben, überrascht sogar die fundiertesten Kenner der Materie: Reben und Wein gab es im Wallis schon bevor die Römer kamen.
Indizien weisen darauf hin, dass die Weinproduktion dank den römischen villae, den grossen Landwirtschaftbetrieben auf dem rechten Rhoneufer, besser organisiert wird.

Weinlese in Ardon, um 1947. Die Kooperative Provins führte ab 1930 als erste Holzkistchen bei der Ernte ein. Foto: Max Kettel, Mediathek Wallis-Martigny.

Im Mittelalter begannen Mönche die ersten Terrassen anzulegen. Die Kirche dominierte den Weinbau bis im Sonderbundskrieg (1847) der Klerus entmachtet wurde. Als Folge machte der auf Selbstversorgung ausgerichtete Weinbau einer auf Weinhandel ausgerichteten Produktion Platz. So brachten Waadtländer Investoren Kapital und neue Rebsorten ins Wallis. Eine davon ist die Chasselas, die auch Fendant Blanc genannt wird.

Werbeplakat, um 1920. Mediathek Wallis-Sitten.

Ein spannendes Kapitel haben Chantal Ammann-Doubliez und José Vouillamoz zusammengetragen: Die Herkunft und Entwicklung der Rebsorten. Die Historikerin hat in Archiven nach Ersterwähnungen von Rebsorten gesucht. Das älteste Dokument, das sie gefunden hat stammt aus dem Jahr 1313 und nennt die Sorten Humagne (Blanc), Resi und Neyrun. Und mit der zuletzt genannten Sorte verbindet sich eine der oben genannten Legenden: Mit dem Jahrgang 1972 bezeichnet der Winzer Jean Nicolier seinen Rotwein erstmals als «Cornalin». Der Molekularbiologe José Vouillamoz hat nun mit DNA-Analysen belegt, dass die Walliser Cornalin mit der «Rouge du pays» aus dem Aostatal identisch ist. Und die im Aostatal heimische Cornalin hingegen entspricht der Walliser Humagne Rouge.

Das Buch beleuchtet die Geschichte des Walliser Weinbaus von den Anfängen bist heute. Es gilt als weltweit einziges Werk, das eine Weinbauregion so detailliert durchleuchtet. Dafür ist das Buch bereits mehrfach ausgezeichnet worden.

«Das beste Weinbuch»
«Rebe und Wein im Wallis» ist eine Enzyklopädie. In chronologischer Reihenfolge wird die Entwicklung des Walliser Weinbaus von der Zeit um 800 vor Christus bis heute dargestellt. Den Haupttext haben die Historiker Pierre Dubuis und Sabine Carruzzo verfasst. In zahlreichen Beiträgen präsentieren Forscher ihre wissenschaftlichen Entdeckungen. Das Werk ist reich bebildert und übersichtlich gestaltet. Alles findet Platz: gemeinschaftliche Rituale, Weinbautechniken, Evolution der Landschaft, Genealogie der Rebsorten und Historische Anekdoten. Das Buch eignet sich sowohl für eine vertiefte Lektüre wie auch für eine fallweise Konsultation.

Rebe und Wein im Wallis – Die Geschichte von den Anfängen bis heute
Gebunden 575 Seiten mit zahlreichen fotos, Karten und Grafiken.
Preis: Fr. 85.– zuzüglich Versandkosten.

ISBN 978-2-88474-233-7


Zurück

Römische Rebmesser, die im Wallis entdeckt wurden, 2.-7./8. Jh. n. Chr. Kantonsarchäologie und Historisches Museum, Sitten. Foto: MVVV/R. Hofer.

Tafel, die das Betreten einer von der Phylloxera befallenen Zone untersagt. Walliser Reb- und Weinmuseum.

Goldener Ohrring, kunstvoll gearbeitet und in Form einer Weintraube, Massongex, römische Thermen, 1. Jh. n. Chr. Historisches Museum, Sitten. Foto: MVVV/R. Hofer

Rebschule bei Martigny, um 1970. Foto: O. Ruppen, Fonds POAV, Mediathek Wallis-Martigny

Reblandschaft. Foto: J. Marguelisch