2023-06-04

Kampf den Histaminen – nicht nur im Wein

Wenn der Wein zu Tränen rührt und Kopfschmerzen verursacht, sind meist Histamine die Auslöser. Immer mehr Winzer setzen gezielt Gegenmassnahmen. Geschätzte ein bis drei Prozent der Bevölkerung leiden an Histamin-Intoleranz (HIT) – als «Hit» dürften die Betroffenen ihr Leiden aber nicht empfinden.

Weil diese Pseudo-Allergie einerseits nicht ausschliesslich auf Histamine beschränkt ist und andererseits nicht nur bestimmte Weine als Auslöser infrage kommen, soll die Problematik der biogenen Amine hier etwas umfassender dargestellt werden. Unter Umständen können auch völlig gesunde Menschen von diesen organischen Abkömmlingen des Ammoniaks betroffen sein. Über das Lesegut und die Vinifikation können die Winzer Einfluss nehmen.

Leitsubstanz für Biogene Amine
Histamin hat gewissermassen die Rolle einer Leitsubstanz für die Gruppe der biogenen Amine übernommen, da es bei Menschen nachweislich erhebliche Beschwerden verursachen kann. Biogene Amine sind die kleinsten Bausteine der Eiweisse. Sie entstehen beim Ab- oder Umbau eiweisshaltiger Lebensmittel durch Bakterien, somit auch bei Reifungs- und Gärungsprozessen.

Sie werden aus Aminosäuren durch Decarboxylasen gebildet, die zahlreich in Bakterien vorkommen; Histamin entsteht durch Abspaltung von Kohlendioxid aus der Aminosäure Histidin. Daher findet man grössere Mengen biogener Amine in mikrobiell hergestellten oder fermentierten Lebensmitteln wie Käse, Sauerkraut, diversen Würsten und Wein sowie in proteinreicher Nahrung wie Fisch und Fleisch. Gesunde Trauben weisen nur geringe Gehalte dieser Substanzen auf.

Fertige Weine können neben Histamin auch Ethanolamin, Phenylethylamin, Putrescin, Cadaverin, Isopentylamin und Tyramin enthalten. Mit zunehmender Lagerungsdauer steigt der Gehalt in Nahrungsmitteln an, womit die Streuungsbreite der gemessenen Werte zu erklären ist. Histamin & Co. sind extrem stabil gegen Hitze und Kälte. Diesen chemisch eng verwandten Substanzen ist weder durch Tiefkühlen noch durch Kochen und Braten beizukommen.

Im menschlichen Körper machen ihnen Enzyme wie die Diaminoxidase (DAO) im Dünndarm oder die Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) in der Leber den Garaus. DAO braucht als Co-Faktor Vitamin B6, auch Vitamin C ist hilfreich.

Einige dieser Amine sind biologisch höchst wirksam. Sie regulieren unter anderem die Magensaftsekretion, erweitern die Gefässe, wirken als Wachstumshormone und Neurotransmitter im Gehirn und werden auch mit einer verbesserten Lernfähigkeit in Zusammenhang gebracht.

Wirkweise der Histamine
Eine Vergiftung durch histaminhaltige Nahrungsmittel wurde erstmals 1828 dokumentiert, nachdem ein britischer Seefahrer Bonito-Makrelen gegessen hatte. Später stellte man fest, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung allergisch auf bestimmte Speisen reagiert. Heute wissen wir, dass diese Patienten unter einem Mangel an DAO leiden oder der Abbau von Histamin gestört ist, beispielsweise durch Medikamente. Frauen sind häufiger von HIT betroffen als Männer, ausgenommen Schwangere, weil in der Plazenta zusätzliches DAO produziert wird.

Die Symptome sind jenen der Migräne ähnlich: Kopfschmerzen, Augendruck, Schwindel, Schwäche und Hitzegefühl, eine verlegte oder rinnende Nase, Unwohlsein bis hin zu Herz- und Kreislaufschwächen stellen sich ein. Auch Hautveränderungen sind möglich wie rötliche, juckende Flecken im Gesicht. Im Unterschied zu echten Allergien ist das Immunsystem an diesen Intoleranzreaktionen jedoch nicht beteiligt.

Nehmen Menschen, die gegen biogene Amine unempfindlich sind, histaminhaltige Speisen zu sich, steigt ihr Histaminspiegel im Blut nach rund 15 Minuten leicht an, um nach einer halben Stunde dank der Wirkung der Diaminoxidase auf den Ausgangswert abzufallen. Bei Probanden mit einer Intoleranz hingegen steigt die ohnehin erhöhte Histaminkonzentration stetig an. Diese Mitmenschen sind wahrlich nicht zu beneiden.

Wein hat weniger Histamin als Thunfisch
Der gleichzeitige Genuss von Käse und Wein etwa ist ihnen dringend abzuraten. Alkoholische Getränke verstärken die Wirkung von biogenen Aminen, da Alkohol und das bei dessen Abbau entstehende Acetaldehyd die Wirkung der Aminooxidasen mindern. Zu allem Überdruss erhöht Alkohol die Darmpermeabilität, was den Aminen den Übertritt ins Blut erleichtert.

Aus besagten Gründen wird Wein am häufigsten als Auslöser von Beschwerden genannt, obwohl er viel geringere Mengen an Histamin enthält als beispielsweise Thunfisch, Bergkäse oder Salami. Andererseits bringt Alkohol Histamine schneller ins Blut.

Histamine: Das können Winzer dagegen tun

Der Biologische Säureabbau, der BSA, wird durch Bakterien bewerkstelligt. Ihm kommt eine tragende Rolle bei der Histaminbildung zu. Was Winzer tun können, um in der Weinbereitung Histamine zu reduzieren.
Da Rotwein praktisch ausnahmslos einen BSA durchläuft, sind die Unterschiede vor allem bei Weisswein markant – kaum bis gar keine Histamine bei klassischem Ausbau ohne biologische Entsäuerung. Bakterien aus Reinzuchtkulturen halten Histamine beim BSA hintan. Hilfreich ist auch ein niedriger pH-Wert, also ein saurer Wein. Wenn der Säuregehalt gering ist, vermehren sich Pediokokken und Lactobazillen besonders gut. Diese Bakterien sind gefürchtet, weil sie neben Fehltönen vermehrt Histamin produzieren. Die Gärhefen der Gattung Saccharomyces cerevisiae bilden kaum Histamine, was von wilden Hefestämmen nicht generell gesagt werden kann. Spontangärung ist deshalb tendenziell kritischer.

Spontangärung ist tendenziell kritischer
Schwefeldioxid tötet Hefen und hemmt Bakterien. Eine moderate Schwefelung knapp nach Gärende hilft deshalb gegen Histamine. Bleibt der Wein so lange auf der Hefe liegen, dass im Zuge der Hefezersetzung, der Autolyse, grosse Mengen Aminosäuren freigesetzt werden, nehmen die biogenen Amine rapide zu.
Man weiss, dass von den Bakterien auch nach Abschluss des BSA noch Histamine gebildet werden, vorzugsweise im dritten bis neunten Monat der Lagerung. Bei trockenen Weinen sind dann die Nährstoffe Zucker und Äpfelsäure längst aufgebraucht, aber die «Notnahrung» Histidin sichert den Bakterien das Überleben. Folglich sollten sie eliminiert werden, was durch eine Filterung mit entsprechend feinen Poren möglich ist.

Edelstahl senkt, Holz befeuert Histaminbildung
Auch die Lagerung spielt eine Rolle. Edelstahl und andere leicht zu reinigende Gebinde senken das Risiko, Holz begünstigt die Histaminbildung. Sind Histamine bereits im Wein, kann Schönung helfen. In der Literatur wird vor allem Natrium-Bentonit als sehr wirksam beschrieben. Aber auch Versuche mit anderen Substanzen wie Calcium-Bentonit und Natrium-Calcium-Mischbentonit haben Erfolge gezeigt.

Zusammenfassend: Hohe Histamingehalte werden von hochreifem Lesegut, milden Weinen, wenig Schwefel, Gärung und BSA mit wilden Kulturen, langer Lagerung in Holzfässern, Hefeautolyse und Verzicht auf Filtration begünstigt. Hier greifen immer mehr Winzer ein, um histaminarme Weine zu keltern, was im Idealfall weniger als 0,1 Milligramm pro Liter bedeutet. Weine völlig ohne gibt es wohl nicht, aber das ist letztlich eine Frage der Genauigkeit von Analysemethoden. Die Nachweistests werden von den Bundesämtern für Weinbau angeboten und schlagen mit rund 100 Euro je Test zu Buche.

(Quelle: Magazin Vinaria Österreich)


Zurück

Histamingehalt in beliebten Lebensmitteln

Bei vielen Lebens- und Genussmitteln ist deren hoher Histamingehalbt bekannt; bei anderen wird man überrascht sein. Auch Bier weist einen höheren Histamingehalt auf als Wein. Während Lachs null Histamine hat, kommt die Sardine gleich auf 1500 Milligramm pro Kilogramm.

Hohe Histamingehalte im Wein werden von hochreifem Lesegut, milden Weinen, wenig Schwefel, Gärung und BSA mit wilden Kulturen, langer Lagerung in Holzfässern, Hefeautolyse und Verzicht auf Filtration begünstigt. Hier greifen immer mehr Winzer ein, um histaminarme Weine zu keltern, was im Idealfall weniger als 0,1 Milligramm pro Liter bedeutet. Weine völlig ohne gibt es wohl nicht, aber das ist letztlich eine Frage der Genauigkeit von Analysemethoden. Die Nachweistests werden von den Bundesämtern für Weinbau angeboten und schlagen mit rund 100 Euro je Test zu Buche.

Richtwerte für Histamingehalte, Werte in Milligramm/Kilogramm.

Lachs 0
Weisswein < 0,8
Rotwein < 1,0
Frischfleisch bis 2,5
Bier bis 3
Weinessig 4
Champagner bis 5
Spinat bis 40
Camembert, Brie bis 100
Schinken bis 160
Sauerkraut bis 200
Salami bis 280
Makrele, geräuchert bis 300
Parmesan bis 580
Emmentaler bis 600
Bergäse bis 1200
Sardinen bis 1500
Roquefort bis 2000
Thunfisch bis 13000