2016-02-29

Der Meister des Heida

Josef-Marie «Chosy» Chanton hat mehrere alte Jahrgänge in seinem Keller. Vor allem Weine der Rebsorte Heida, die er 1964 im Visper Pfarreirebberg Toppi anpflanzte. Später kamen Plantscher, Gwäss, Lafnetscha, Himbertscha sowie Eyholzer Roter und Resi dazu. Alles alte Rebsorten, denen der Ingenieur in Önologie zu neuem Glanz verhalf.

In einem Gespräch mit Andreas Etter, Geschäftsführer der Jeroboam AG, hatte er die Idee, einiger der alten Flaschen in einer Runde von Weinliebhabern zu verkosten. Gesagt, getan, luden sie Ende Februar ins Zunfthaus zur Waage nach Zürich ein. Zehn Jahrgänge von 2010 bis 1974 zeigten, «dass sich die einzelnen Flaschen zwar unterschiedlich entwickelten, aber nicht nur zu Degustieren, sondern auch noch gut zu Trinken sind», wie Andreas Etter sagte. Sepp Wimmer, Gastgeber in der «Waage», gefielen die Sherrynoten in allen älteren Weinen. «Solche Weine sind sehr interessant für die gehobene Gastronomie», sagte er. «Die gereiften Heida haben die Klasse von Sherry oder Vin Jaune aus dem Jura.»

Vin Juane ist denn auch ein gutes Stichwort. Dieser wird aus der Rebsorte Savagnin Blanc gekeltert, die im Oberwallis Heida genannt wird. Im Unterwallis heisst die Sorte Païen und im Südtirol Trainer. Savagnin Rose aromatique oder Gewürztraminer ist gemäss Rebsorten-Genetiker José Vouillamoz eine genetisch identische Mutation.

Archetyp des Heida
Josef-Marie Chanton vinifizierte seinen Heida immer nur in Stahltanks. Den Übernamen «Gletscherwein» bekam der Wein von seinem Vater und Firmengründer Oskar Chanton, weil man von den Rebbergen in Visperterminen die Gletscher sehen konnte. Heute ist diese Bezeichnung für die AOC Vin des Glaciere aus dem Val d’Anniviers reserviert. Chansons lassen sich davon nicht beirren.

«Chosy hat den Typus des gradlinigen Heida geschaffen, dem es trotz eines Alkoholgrades von 14 Volumenprozenten nicht an der nötigen Frische mangelt», schrieb die Fachzeitschrift Vinum in der Ausgabe 3/2013. Und die amerikanische Weinzeitschrift «Wine Spectator» schrieb am 31. März 2015 über ihn: «Swiss winemaker Josef-Marie Chanton a pioneer in grapevine preservation saved rare wine grapes from extinction.»

Heida sollte normalerweise trocken sein. Idealerweise werden rund 500 Gramm Trauben pro Quadratmeter mit 90 bis 100 Grad Öchsle gelesen. 12,5 bis 13,5 Volumenprozente Alkohol und rund sechs Gramm Säure beim Abfüllen sind optimal.
Die 1964 gepflanzten Rebstöcke sind immer noch in Ertrag. Josef-Marie Chanton hatte seine Rebberge von Anfang an begrünt, was Winzerkollegen als «Spinnerei» abtaten. Seit 25 Jahren spritzte er weder Herbizide noch Akarizide (Pflanzenschutzmittel gegen Insekten). Dank dem milden Walliser Klima reichen drei bis fünf Spritzungen gegen den Mehltau.

Vergoren wird mit safteigenen Hefen bei Temperaturen zwischen 20 und 22 Grad Celsius. Chantons arbeiten im Keller so natürlich und ökologisch wie möglich. Für den Biologischen Säureabbau (BSA) heizen sie ihren Keller nicht wie vielerorts üblich auf. Sie lassen ihren Weinen Zeit bis im Frühling die Kellertemperaturen auf sieben bis acht Grad steigen und der BSA auf natürliche Weise einsetzt. Dieser dauert dann aber vier bis sechs Wochen. Während Josef-Marie Chanton Weissweinspezialist ist, hat Sohn Mario die Rotweine unter seine Fittiche genommen. «Mario kam aus Neuseeland zurück und sagte «Papa, du machst gute Weissweine, aber von Rotwein hast du keine Ahnung»», sagte Josef-Marie Chanton. «Und damit hatte er vollkommen reicht. Meine Rotweine waren sehr hell und schlank.»



Ein Blick in die Geschichte
Oskar Chanton gründete 1944 einen Weinhandelsbetrieb und begann damit, Trauben zu kaufen und diese zu verarbeiten. Sein Sohn Josef-Marie Chanton absolvierte erst die Handelsschule und arbeitete im kaufmännischen Bereich, bevor er mit 25 Jahren auf den Geschmack von Wein kam. Dann aber hat es ihn richtig gepackt. «1964 konnte ich von der Pfarrgemeinde Visp einen Hektar Rebland pachten und pflanzte dort die ersten Heida-Reben», sagt «Chosy», wie Josef-Marie Chanton von seinen Freunden genannt wird. Sein «Heida» fand rasch Liebhaber, Chanton pflanzte weitere Reben und rettete die Sorte damit vor dem Verschwinden. Heute wirbt Visperterminen mit den «höchstgelegenen Weinbergen Europas» (1150 M. ü. M.) und nennt sich «Heida-Drof».

Im Jahr 2008 hat Sohn Mario die Verantwortung über die acht Hektar Rebberge im Mattertal, in Visp und Varen sowie die Vinifikation übernommen. Er keltert 15 Weissweine und drei Rotweine. Die Weissen werden im Stahltank ausgebaut, die Roten reifen in 400 bis 600 Liter fassenden Fässern.

Josef-Marie Chanton trat in den «Ruhestand» und engagiert sich seither in Entwicklungshilfeprojekten in seinem Spezialgebiet, dem Rebbau. So half er in Bolivien und Nepal Reben anzubauen – natürlich auch einige Stöcke Heida.

Die Weine von Chanton gibt es in Zürich bei:

Jeroboam SA
Bachwiesenstrasse 121
8047 Zürich

www.jeroboam.ch


Indietro

Heida – Gletscherwein 2010 bis 1974

2010 – am 20. Oktober mit 99° Oechsle gelesen, vergoren bei 20 bis 22 °C, 6,2 Gramm Säure pro Liter beim Abfüllen

Auge: tiefes, nicht ganz klares Zitronengelb mit grün-grauen Reflexen
Nase: sauberes, ausgeprägtes Bouquet mit intensivem Duft nach Aprikosenkonfi, Quittenmus, Brioche und Butter. Dazu kommen Noten von nassen Steinen und warmem Schiefer.
Gaumen: weicher Auftakt. Trockene Säure m+ und salzige Mineralität lassen den Speichel fliessen. Fülliger Körper, mittlere Intensität, nimmt den Duft von Brioche, Butter und Quittenkonfi in der Nase auf. Langer, traubenbeeriger und leicht trocknender Abgang.
Der Wein steht am Beginn seiner Trinkreife und hat ein Reifepotenzial für mehrere Jahr(zehnte).

1996 – am 15. Oktober mit 96° Oechsle gelesen, 6 Gramm Säure pro Liter beim Abfüllen

Auge: klares, tiefes Zitronengelb mit gräulichem Rand
Nase: sauberes, ausgeprägtes Bouquet, das entfernt an einen Riesling erinnert. Zitrusnoten, Petrol, Rauch, Feuerstein, gelbe Früchte (Aprikose, Nektarine) sowie dezent grüne Noten (Spargel, Spitzkabis).
Gaumen: trockener, weicher Auftakt, Mitte+ Säure ist gut eingebunden und von Fruchtsüsse unterlegt. Salzige Mineralität lässt den Speichel fliessen. Fülliger Körper, mittlere Intensität und erste Zeichen der Reife im Abgang (Honig, Wachs, edle Pilze und etwas Unterholz). Der Wein entwickelt sich positiv im Glas.

1991 – Ende Oktober mit 96° Oe gelesen, 12,8 % Vol. mit 7,1 Gramm Restzucker bei 6,3 Gramm Säure pro Liter

Auge: brillantes, tiefes Goldgelb mit bernsteinfarbenen Reflexen
Nase: sauberes Bouquet mit ausgeprägtem Duft nach getrocknenten Früchten (Aprikose, Feige) gerösteten Haselnüssen und nassem Schiefer.
Gaumen: trockener, aromatischer Auftakt mit Noten von Menthol und Trockenfrüchten. Weiche Textur am Gaumen. Lebendige Säure und ausgleichende Fruchtsüsse. Filigraner, edler Körper, mittlere Intensität, Säure spannt den Bogen, lang anhaltender Nachhall.

>> Obwohl in der Regel trocken ausgebaut, stellt sich beim 1991er Heida mit etwas Restzucker eine spannende Frage. Restsüsse in einem Wein, die in seiner Jugend als störend empfunden oder aufgesetzt, vertuschend wirkt, bindet sich mit der Reife optimal ein und verleiht diesem eine spannende dritte Dimension.

1987 – Ende Oktober mit 100° Oechsle gelesen, 5,5 Gramm Säure pro Liter

Auge: tiefes Bernstein mit Depottrübung in der zweiten Hälfte der Gläserrunde
Nase: Die Meinung über die Sauberkeit des Weins gehen auseinander. Während Kork und Oxidation in der Runde herumgeboten werden, notiere ich «sauber ?». Die Intensität ist ausgeprägt. Oxidative Noten sind zweifelsfrei vorhanden. Dazu kommt der Duft von Bouillon, Kompott von getrockneten Aprikosen und geröstete Haselnüsse.
Gaumen: trockener Antrunk mit kräftiger Säure geht über in einen fülligen Körper mit einiges an Schmelz. Am Gaumen gefällt der Wein besser als in der Nase. Auf die aufkeimende Begeisterung folgt die herbe Niederlage. Bitter und trocknend im Abgang. Ausgezehrt und ledrig im Nachhall. Der 1987er hat den Zenit überschritten, darin sind sich alle einig.

1983 – Am 21. November mit 110° Oe gelesen, 15% Vol. und 6,4 Gramm Säure pro Liter. Wird als Spätlese etikettiert.

Auge: brillantes Bernstein
Nase: sauberes, vielschichtiges Bouquet mit ausgeprägten Tertiäraromen wie Champignons, Unterholz und Malzbonbon. Dazu kommen animalische Noten und ein erfrischender Touch von eingelegten Zitronen.
Gaumen: breiter, weicher Antrunk. Trocken. Hohe, pikante Säure zieht breit nach hinten und brennt wie weisser Pfeffer am Gaumen. Wärmender Alkohol. Kräftiger Körper. Schokolade, Quittengelee und Lakritze finden sich im Nachhall. Dazu oxidative Noten, ein feiner Amontillado-Ton.

1982 – Mitte Oktober mit 90° Oe gelesen, 12 Gramm säure im Most werden abgebaut auf 5,6 Gramm beim Abfüllen.

Auge: brillantes, mittleres Goldgelb mit grüngoldenen Reflexen
Nase: sehr sauberes Bouquet von mittlerer Intensität. Viel Quittengelle, weisser Pfeffer und dezent getrocknete Aprikose, Nüsse, Rauch und eine gewisse Kräuterwürze. Vielschichtig.
Gaumen: trockener, saftiger und weicher Antrunk mit mittlerer Säure. Zitrusnoten spannen einen Bogen. Fülliger Körper mit Kraft und Schmelz. Vibrierend und lang im Abgang. Grossartig. Geradlinig, filigran und elegant.

1979 – Mitte Oktober mit 90° Oe gelesen, 6 Gramm Säure pro Liter

Auge: nicht lupenrein klares Bernstein mit orangen Reflexen
Nase: sauberes Bouquet mit fortgeschrittener Reife. Unterholz, edle Pilze, Fleischextrakt, Honig und getrocknete Aprikose.
Gaumen: trocken, Sherrynote, Honignote, geröstete Haselnüsse, elegante Säure, mittlerer Körper und Intensität, extrem langer Abgang. Grossartig.

1978 – Die Lese dauerte vom 31. Oktober bis zum 13. November mit knapp 90° Oechsle gelesen. 12,2% Vol. und 6,3 Gramm Säure pro Liter

Auge: tiefes Altgold mit olivgrünen Reflexen
Nase: sauber mit intensiven, opulenten und warmen Aromen, Boskopfapfel, Quittenmus, getrocknete Feige, Haramell, Honig, geröstete Nüsse und Apfelschnitze.
Gaumen: trockene, spitze Säure zieht nach hinten, lässt den Speichel fliessen. Schlanker Körper, kalte Aromen, nasser Schiefe. Eher kurzer Abgang, Oxidation, grüne Beerenschalen im Nachhall. Spannend.

1976 – Die Lesedaten und Säurewerte sind verlorengegangen.

Auge: tiefes, nicht ganz klares Bernstein mit orangen Reflexen
Nase: sauberes, opulentes Bouquet mit laktischen Noten, Rauch, geröstete Nüsse.
Gaumen: trocken, Mitte + Säure spannt einen Bogen, Wildkräuterwürze (Thymian, Salbei), schlanker Körper, eher kurzer Nachhall, metallischer Nachhall, wirkt ausgezehrt. Die Nase hat einiges mehr versprochen als der Gaumen halten konnte.

1974 – Die Lesedaten und Säurewerte sind verlorengegangen.

Auge: brillantes, mittleres Altgold
Nase: sauber, ausgeprägtes Bouquet mit viel Würze, Lebkuchen, Zimt, Nelke, weisser Pfeffer, Rooibos, Karamell und Orangeat, sehr vielschichtig, Schokolade.
Gaumen: frische, lebendige und vibrierende Säure (m+), schmeckt intensiv nach reifen Trauben. Der Wein hat Kompelxität und Struktur. Eine dezenter Hefefirn im Nachhall.