2012-10-29

Ein lockeres Sparring zwischen Zürichs zwei Weindynastien

Sie wuchsen in zwei Familien auf, die sich geschäftlich konkurrenzierten. Welches Verhältnis prägte das, und was ist Ihre allererste gemeinsame Erinnerung?
Marc Landolt: An die erste Begegnung erinnere ich mich noch sehr genau. Wir waren beide 10 Jahre alt, es war am Strand L’Espiguette in Südfrankreich. Ich sah das allererste Mal das Meer – und dann erstmals bewusst die Familie Zweifel. Von ihnen sprach man mit Ehrfurcht bei uns daheim, eine grosse Firma, noch grösser als unsere, und sie machten überdies Pommes-Chips. Meine Eltern gingen voraus, wir Kinder dahinter, und dann, peng! Da liegen sie am Strand. Das waren jetzt eben die Zweifels. Dann gingen wir alle zusammen Moules marinières essen.
Walter Zweifel: Bei uns redete man mit Respekt von den Landolts. Unsere Väter achteten sich, sahen sich in der Zunft und in Fachgremien. Aber ein freundschaftliches Verhältnis, wie wir beide es nun haben, hatten sie sicher nicht.

Wären Sie bei der Geburt, die am selben Tag im selben Spital stattfand, verwechselt worden: Was wäre aus Ihnen und der jeweiligen Firma geworden?
Zweifel: Was man wird, ist stets eine Mischung aus Anlagen und Erziehung. Die Grundwerte der zwei Familien waren sehr ähnlich, verwurzelt in Traditionen, aber immer offen für Neues.
Landolt: Wir wuchsen beide mit recht konservativen Werten auf.
Zweifel: Da gibt es allerdings wohl auch einen Unterschied zwischen unseren Familien: Wir hatten immer einen recht unorthodoxen Flügel. Mein Vater war eher konservativ-traditionell-humanistisch orientiert, mein Onkel bereits in der Jugend eher ein Freidenker. Diese zwei Flügel habe ich noch heute in mir.

Zu den unorthodoxen Entscheiden zählte der frühe Import von Tropfen aus Übersee in den Siebzigern.
Zweifel: Auch, ja. Aber wir mussten uns auch vorher mehrfach umorientieren, das hat die Familie weitergebracht. 1898, als die Reblaus kam, stieg man vom reinen Rebbau auf Süssmost um, ehe man wieder zum Weinbau zurückkehrte. 1958 dann eröffneten wir uns mit der Zweifel Pomy-Chips AG ein ganz neues Feld.

Zweifel ist heute in breiten Kreisen sogar bekannter für Chips als für Wein. War Landolt auch irgendwo so innovativ?
Landolt: Wir blieben immer beim Wein, seit 178 Jahren. Einerseits gibt es die Eigenproduktion, andererseits setzten wir früh auf Importe aus Italien. Beim Primitivo zum Beispiel waren wir die Ersten, und wir setzten auch als erste Fachhändler auf Weine aus Südafrika.

Innovation ist das eine, doch gibt es vermehrt auch Retro-Trends. Zweifel Chips haben unlängst auf Kundenwunsch aus dem Sortiment verschwundene Zwiebelringe wieder aufgenommen. Gibt es bei Ihren Eigengewächsen auch ein Aufleben des Altbewährten, Herr Landolt?
Landolt: Unsere älteste Marke, das Schiterberger Himmelsleiterli, hat seit 60 Jahren fast die gleiche Etikette, ein urkonservativer Wein, der einst bei Sechstagerennen auf jedem Tisch stand. Heuer ist er zum wiederholten Mal in der Businessclass von Swiss ausgeschenkt worden. Unsere Verwurzelung kommt an, auch im Hauptabsatzkanal, der Zürcher Gastronomie. Dort sind es vor allem deutsche und österreichische Entscheidungsträger, die unsere lokalen Produkte fördern. Die sind begeistert, dass es Weine vom Stadtboden gibt.

Was die Innovationen betrifft, begann Landolt vor vier Jahren, erstmals überhaupt auf Stadtgebiet Merlot und Zweigelt anzubauen. Wie steht es damit?
Landolt: Der erste Blend wird jetzt dann abgefüllt. Aber sonst beschränken wir uns heute auf zwei Marken, von denen wir dafür grössere Mengen produzieren. Die Zeiten, da wir in jedem Dorf andere Weine kelterten, sind vorbei. Man kann nicht nur 500 Flaschen machen. Aber das sieht Walter vielleicht anders, sein Bruder Urs ist ja ein extremer Tüftler.
Zweifel: Urs und ich kreieren pro Jahr zwei bis fünf neue Weine, weil wir das spannend finden. Doch es ist schon die Idee, davon dann auch grössere Mengen herstellen zu können. Stark zugenommen hat die Traubenvielfalt. Wir keltern heuer 30 Sorten in Höngg. Als ich vor 20 Jahren begann, waren es 6.

Initialzündung für diese Entwicklung war eine liberalisierte Zulassung von Sorten. Auch gelockerte Importbeschränkungen haben hiesige Winzer zu mehr Leistung angetrieben. Was sagen Sie zu den Stimmen, die nun wieder restriktivere Bestimmungen fordern?
Zweifel: Importe waren für uns immer ein Benchmark für Eigenproduktionen, eine wichtige Belebung. Ich bin völlig gegen staatliche Auflagen in diesem Bereich. Die Marktöffnung hat die Qualität verbessert, auch wenn das leider nicht dazu geführt hat, dass die Rebbauern höhere Preise lösen: Wir haben die Produktion um 30 Produzent reduziert auf gleicher Fläche, ohne dass die Preise entsprechend gestiegen wären. Das lässt sich jedoch nicht mit kurzfristigen staatlichen Massnahmen ändern.
Landolt: Ich sehe das gleich, ich finde solchen Protektionismus unangebracht.

Landolt kann sich seit 178 Jahren halten in diesem Geschäft. Wieso, Herr Zweifel?
Zweifel: Gute Unternehmer, gute Rebbauern, gute Qualität, grosse Konstanz, starke Marke.

Wie schafft Zweifel das seit 114 Jahren?
Landolt: Es ist eine grosse Familie, die grosse Mengen produziert. Die Nachfolge ist geschickt geregelt, denke ich. Und wenn ich es richtig interpretiere, könnt ihr gut reden miteinander, stellt nicht Einzelinteressen ins Zentrum.

In Ihrer beider Ausführungen zur eigenen Firma wird Ihre Verwurzelung in der Familie und deren Geschichte klar. Was ist nachteilig an einer solchen Struktur?
Zweifel: Da gibt es zum Beispiel die Gefahr, dass ein Teil der Familie das Interesse verliert und sich neu orientiert. Diese Ausstiegsszenarien sind immer schwer zu lösen. Ich habe beispielsweise in Kalifornien über hundertjährige Firmen gesehen, die verkauft wurden, da sich Familienmitglieder finanziell nicht einigen konnten. Schon mein Grossvater setzte deshalb einen Externen mit in die Führungsetagen, der auch als Mediator wirken kann.
Landolt: Der schwierigste Punkt ist, dass man die alten Zöpfe mitschleppt, wenn die neue Generation einsteigt. Bei mir war das vor 20 Jahren so. Das kann Innovation killen, viele steigen dann wieder aus, solange die Eltern dreinreden. Bei meinem Vater und mir flogen diesbezüglich die Fetzen, obwohl wir uns immer die nächsten Menschen waren. Der Wechsel war nicht ganz schmerzfrei.
Zweifel: Als mein Vater sagte, ich sei Geschäftsführer, war ich das. Er hielt sich aus dem operativen Bereich heraus, auch wenn er als Verwaltungsratspräsident seine Meinung einbrachte. Nun führen wir die Firma als vierte Generation in den Verwaltungsräten. Das Modell funktioniert ganz gut, solange die nachfolgende Generation einig ist.

Wie gut stehen die Chancen, dass auch die nächste Generation einsteigt?
Zweifel: Es sind 14 Nachkommen, da bestehen absolut Chancen.
Landolt: Ich habe 7 Nichten und Neffen, die Chance ist vielleicht fifty-fifty. Ich will sicher weit vor dem Ruhestand geregelt haben, ob die Firma bei uns bleibt. Sonst bliebe nur eine Option: Verkauf.

Sollte dieser unumgänglich sein: Wäre Zweifel als Käufer der Worst Case?
Landolt: Es gibt keinen Worst Case dann, sondern einfach einen Case. Man kann entweder möglichst viel Geld zu lösen versuchen oder jemanden finden, der den Geist der Firma weiterleben lässt und normalerweise weniger zahlt.

Mit Zweifel könnte der Geist weiterleben.
Landolt: Walter und ich haben schon sehr viel zusammen diskutiert, aber über dieses Thema noch nie.

Kommen Sie, wir würden gerne noch etwas Clan-Rivalität à la «Dallas» oder «Denver-Clan» in diese Runde bringen. Also, Herr Zweifel: Wäre es umgekehrt nicht ein Worst-Case-Szenario, wenn dereinst kein Zweifel-Nachkomme Interesse zeigte und Landolt Weine durch Übernahme zum Alleinherrscher würde?
Zweifel: Sicher nicht. Der Worst Case beim Wein wäre, dass ein internationaler Multi sich aufschwingen würde. Aber selbst wenn niemand aus der nächsten Generation einstiege, könnte es unser Familienunternehmen bleiben.

Als 2011 bekanntwurde, dass Landolt nach der Aufgabe der eigenen Kelterei seine Weine künftig zum Teil bei Zweifel keltern lässt, zitierte eine Tageszeitung Urs Zweifel so: «Wir sind nun das Kompetenzzentrum in der Stadt Zürich für Wein.» Schmerzte das, Herr Landolt?
Landolt: Da bekamen wir für einmal richtig Lämpen, Walters Bruder und ich. Wir sind die Auftraggeber, Zweifel keltert mit unseren Leuten. Die Wahl war ein bewusster Entscheid gegen billigere Optionen ausserhalb der Stadt. Es war uns wichtig, die städtischen Trauben, die 35 Prozent unserer Produktion ausmachen, weiterhin in dieser Stadt zu keltern. Ich finde es sehr gut und alles andere als selbstverständlich, dass wir uns in den letzten Jahren so gefunden haben und jetzt so zusammenarbeiten können.
Zweifel: Das erwähnte Zitat kam nicht ganz in unserem Sinn rüber. Wir haben unseren neuen Weinkeller in Höngg und nicht ausserhalb der Stadt gebaut, weil uns dieser Standort, von dem wir herkommen, extrem wichtig ist. Natürlich hat es uns dann gefreut, dass die Familie Landolt uns ihren Auftrag gab.

Diesen Oktober feierten Sie zwei gar gemeinsam Ihren 50. Geburtstag und präsentierten dabei einen gemeinsam gekelterten Wein. Ist das eine singuläre Kooperation, oder gibt es eine Fortsetzung?
Landolt: Wenn das Resultat gut ankommt, wollen wir weitermachen.
Zweifel: Aber es wird bei einem Wein bleiben und keine ganze Linie geben.

Gemeinsam fechten Sie auch einen Kampf gegen die Grossverteiler.
Landolt: Wir kämpfen nicht gegen jemanden, sondern für den Fachhandel.

Die Grossisten haben sich inzwischen den Löwenanteil am Kuchen gesichert.
Landolt: Es sind drei Viertel hierzulande. Aber man steht ja immer von verschiedenen Seiten unter Druck und muss seinen Weg gehen, statt sein Geschäft auf die anderen auszurichten.
Zweifel: Dem Zürcher Fachhandel geht es in seiner Nische trotz allem recht gut, er führt insgesamt rund 11.000 Weine und hält einigermassen zusammen.

Die Expovina steht vor der Tür. Welche Bedeutung hat sie für Ihre Branche?
Zweifel: Als Ausstellung ist das in dieser Form wohl weltweit einmalig. Das Potenzial dieses Anlasses ist riesig und noch lange nicht ausgeschöpft. Sich hier präsentieren zu können, ist für den ganzen Schweizer Weinfachhandel sehr wichtig. Ich stehe auch oft bei Verkostungen am Stand und finde es spannend, mit den Leuten zu diskutieren. Etwas Mühe machen mir höchstens jene, die mit Parker-Punkten kommen, statt sich auf den Geschmack zu verlassen. Das sind vor allem Männer. Frauen lassen viel mehr den Wein sprechen, sind weniger voreingenommen gegenüber dem, was sie degustieren.
Landolt: Das kann ich bestätigen. Es ist bewundernswert, wie unabhängig von Preisen und Punkten Frauen verkosten.


Interview: Urs Bühler
Erschienen in der «Neuen Zürcher Zeitung» am 29.10.2012
Mit freundlicher Genehmigung der NZZ.


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