2013-01-20

700 Jahre Rèze und Humagne Blanche

Ein auf den 20. Januar 1313 datierter Eintrag im Register von Anniviers ist das älteste im Wallis gefundene Dokument, das Namen von Rebsorten nennt. Rèze und Humagne Blanche sind heute zwei in kleinen Quantitäten produzierte, spannende Nischenprodukte. Am 20. Januar 2013 feierten Weinliebhaber dieses Jubiläum ich Château de Villa in Sierre/VS.

Zum 700-Jahr-Jubiläum der ersten Nennung von Rebsorten im Wallis hatte José Vouillamoz eingeladen. Der Biologe und Rebgenetiker schrieb mit seinen DNA-Analysen Geschichte. Unterstützt von Historikern bietet er Stoff für spannende Geschichten.

Schon bevor die Römer durch das Alpental marschierten, wurden im Wallis Reben kultiviert. Das belegen Fundgegenstände, die im Weinbaumuseum Sierre/Salgesch ausgestellt sind. Auf den Spuren von Reben und Wein fanden Historiker in Archiven des Kantons Wallis, des Klosters St-Maurice oder des Stifts Sion Schriften, die Reblagen beschreiben, Urkunden von Schenkungen und  Verkäufen sowie Preisen, die dafür bezahlt wurden. Andere Dokumente listen die Anzahl Rebstöcke und die geernteten Mengen in Eimern und Fässern auf.

Wenn heute jemand ein Glas Weisswein bestellt oder nach einem Halben Rotwein verlangt, hört sich das an wie im Mittelalter. Damals, so haben Arnaud Meilland und Christine Payot vom Büro Clio für historische Recherchen herausgefunden, wurde der vergorene Rebensaft in Weiss- und Rotwein unterteilt. Unsere technischen Begriffe und die blumige Weinsprache waren noch nicht bekannt. Die Qualität der Weine wurde in «guter Wein» oder «sehr guter Wein» eingeteilt. Eine auf den 20. Januar 1313 datierte Aktennotitz nennt erstmals die Namen von Rebsorten.

Die als Register von Anniviers bekannte Dokumentemappe, aufgeschlagen auf den Seiten 382 und 383. Im ersten Eintrag auf der Seite 383, datiert auf dem 20. Januar 1313, werden die drei Namen von Rebsorten (siehe Ausschnitt unten, mittlere Zeile) genannt. Fotos: José Vouillamoz



Das Register von Anniviers
Das Register von Anniviers ist eine Sammlung von 26 Heften. Es umfasst 2.300 Einträge auf 408 dicht beschriebenen Pergamentseiten. Die Einträge sind in lateinischer Sprache verfasst und datieren von 1285 bis 1314. Der Eintrag vom 20. Januar 1313 besagt, dass «die Brüder Guillaume und Pierre, Söhne der Christine de la Tour aus Granges (…) sich verpflichten Emeric de Torrenté eine jährliche Rente zu entrichten (…) zur Zeit der Ernte, aus ihrem Rebberg und bestehend aus drei Sorten gut ausgereifter Beeren, den ‹Neyrun›, ‹humagny› und ‹Regy›». Beim 'Neyrun' vermuten die Forscher, dass es sich um 'Rouge du Pays' handelt, einer spontanen Kreuzung aus den Sorten 'Petit Rouge' und 'Mayolet', die beide im Weiler Neyran im Aostatal wuchsen. Unter Vorbehalt sind sich die Forscher aber einig, dass 'humagny' der heutigen 'Humagne Blanche' entspricht und 'Regy' mit der heutigen 'Rèze' identisch ist. Beim Vorbehalt stellt sich die folgende Frage: Wenn der Autor die Namen der drei Sorten kannte, weshalb sind diese in keinem anderen Dokument aufgetaucht? Die nächste Nennung einer Rebsorte war 'Muscat' und das erst im Jahr 1535. Bis zum Einfall der Reblaus in den Jahren 1906 und 1920 waren die im Register von Anniviers genannten Rebsorten weit verbreitet. Die Reblaus verursachte grosse Schäden an den Rebkulturen. Ersetzt wurden die traditionellen Sorten, zu denen 'Humagne' und 'Rèze' gehören durch einfacher zu kultivierende Sorten wie 'Fendant' (Chasselas) und 'Johannisberg' (Silvaner). Von den 5.000 Hektar Reben im Wallis, gut einem Drittel der gesamtschweizerischen Rebfläche, gibt es heute nur noch 2,4 Hektar 'Rèze' und 30,6 Hektar 'Humagne Blanche'.
 
Humagne Blanche – der Kindbettwein
Vermutlich stammt 'Humagne' vom griechischen Verb «hylomaneo» ab, das fruhtbar bedeutet. Obwohl griechische Seefahrer Südfrankreich besiedelten, ist ein Griechischer Ursprung der Sorte unwahrscheinlich. Denn DNA-Analysen von Rebengenetiker José Vouillamoz zeigen auf, dass die in Südfrankreich heimische weisse Rebsorte 'Colombaud' der Vater von 'Humagne' ist. 'Humagne' breitet sich entlang der Rhone aus und gelangte vor dem 13. Jahrhundert ins Wallis, wo sie sich bis in die heutige Zeit halten konnte. Erst vor kurzem durchgeführte DNA-Analysen haben gezeigt, dass die im Südwesten von Frankreich beheimatete Sorte 'Miousat' mit der 'Humagne' identisch ist.

Einer Legende zur Folge enthält 'Humagne' mehr Eisen als andere Weine. Deshalb wurde er jungen Müttern nach der Geburt eines Kindes zur Stärkung und Blutbildung offeriert. Leider konnte auch diese Legende wissenschaftlich widerlegt werden. Doch gab es einst die Tradition, Wein – Weisser und Roter – mit Kräutern und Gewürzen anzureichern. Dieser Trunk muss die stärkende Wirkung gehabt haben.

Die Bezeichnung «Blanc» oder «Blanche» erhielt die 'Humagne' mit der Einführung der 'Cornalin' aus dem Aostatal, die im Wallis irrtümlicherweise als 'Humagne Rouge' bezeichnet wurde. Auch diese Tatsache konnte mittlels DNA-Analysen richtig gestellt werden.

Rèze/Resi und der Gletscherwein
Die 'Rèze' gilt als eine der ältesten Rebsorten in den Alpen. Ihr Name könnte von der Familie Regis stammen, die im Wallis und im Aostatal weit verbreitet war, Reben anbaute und Wein kelterte. Eine andere Hypothese vermutet, dass ihr Name von 'Uva Raetica', der zur Römerzeit am weitesten verbreiteten Rebsorte in den Alpen, abgeleitet wurde. José Vouillamoz glaubt eher an die These mit dem Familiennamen. Er schliesst aber nicht aus, dass die 'Rèze' und ihre Familie entfernte Nachkommen der 'Raetica' sind. «Weshalb sollte die 'Rèze' nach einer römischen Provinz benannt werden, zu der das Wallis nur kurze Zeit gehörte?» fragt José Vouillamoz und nennt damit einen weiterer Grund, der für den Familiennamen spricht. Genetische Verwandtschaften bestehen zwischen 'Rèze' und ihrer Halbschwester 'Freisa' (2. Grad), die ein Kind der im Piemont und Veltlin heimischen 'Nebbiolo' ist. Zudem ist 'Rèze' ein Elternteil der 'Diolle' und 'Grosse Arvine' im Wallis, 'Cascarolo Bianco' im Piemont sowie von 'Groppello di Revò' und 'Nosiola' im Trentino.

Aus der 'Rèze' wurde bis in 20. Jahrhundert der «vin du glacier», der Gletscherwein, zubereitet. Seit dem von der Reblaus bewirkten Ausfalle der 'Rèze'-Produktion sind auch Sorten wie 'Chasselas', 'Marsanne' (Ermitage) und andere zugelassen. Der Gletscherwein reift in Kellern im Val d'Anniviers auf über 1.200 Meter über Meer. Das bekannteste Fass ist das «Tonneau de l'évêque» im Burgerkeller von Grimentz. Das im Jahr 1865 gebaute Fass wurde 1886 erstmals mit «vin du glacier» gefüllt und seither nie mehr ganz geleert. Ein Mathematiker hat ausgerechnet, dass von den ursprünglichen 900 Liter im Jahr 2127 noch ein Liter vorhanden sein wird.

Verkostung von Rèze, Humagne Blanche und Vin de glacier anlässlich des 700-Jahr-Jubiläums im Sensorama des Château de Villa in Sierre/VS.

Rèze Rouge – eine Weltpremiere
«Die Urahnen aller Weinreben produzierten blaue Trauben», sagte José Vouillamoz. «Erst später produzierten sie weisse Trauben. Immer wieder kommt es vor, dass sich eine Rebe ‹zurückbesinnt›, die Mutation umkehrt und wieder blaue Trauben produziert.» Genau das ist im Rebberg von Jean-Paul Aymon geschehen. Im Jahr 2006 produzierte eine 80-jährige 'Rèze'-Rebe blaue Früchte. Jean-Paul Aymon, Winzer in Ayent, vermehrte diese und konnte aus der Ernte 2012 von sechs Stöcken 'Rèze Rouge' 15 Liter Rotwein erzeugen. Geerntet mit 100° Öchsle überzeugte die erste Fassprobe mit ihrer intensiven Beerenfrucht, Struktur und der knackigen Säure. Vor dem Säureabbau verkostet erinnert der Wein an einen 'Mondeuse'. «Die Rebe überzeugt auch als Pflanze», sagt Jean-Paul Aymon «Sie zeigte keine Anzeichen von Mehltau und ist resisten auf Krankheiten.»

Dr. José Vouillamoz ist ein Botaniker und Trauben-Genetiker von internationalem Ruf. Der Weinliebhaber wurde von Professor Carole Meredith an der University of California in Davis in den Bereichen  DNA-Profilierung von Trauben und Abstammungs-Analysen trainiert. Seit 2004 arbeitet er als unabhängiger Forscher an der Universität von Neuchâtel.

José Vouillamoz ist Mitverfasser von Standarwerken in der neuen Rebsortenkunde und setzte mit seiner Arbeit Akzente in der Geschichte von Reben und Wein.

2012 Wine Grapes, Co-Autor mit Jancis Robinson MW und Julia Harding MW, das monumentale Werk mit Daten von 1.368 Rebsorten ist mit Zeichnungen der hundertjährigen Ampelographie von Viala und Vermorel illustriert.

2011 Origine des cépages valaisans et valdôtains, Co-Autor mit Giulio Moriondo, DNA-Analysten treffen auf die Geschichtsschreibung.

2009 Rebe und Wein im Wallis, die Geschichte von den Anfängen bis heute


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