2016-09-21

Die 5. Weinschweiz – Brancaia, Toskana

Es war 1981, als sich das Schweizer Ehepaar Bruno und Brigitte Widmer in das verlassene Weingut Brancaia (Castellina in Chianti) verliebten und es in der Folge erwarben. Bereits 1983, also schon zwei Jahre später, belegte Brancaia den ersten Platz bei einer großen Chianti-Classico-Degustation und fand rasch internationale Anerkennung.

(Bilder: zVg)

Brancaia gehört heute zu den Spitzenweingütern der Toskana und erhält jedes Jahr bedeutende nationale und internationale Auszeichnungen. Die Weine werden weltweit mit Erfolg vertrieben.

Den alten, toskanischen Gutshof, hat die Familie Widmer mit Liebe und Sorgfalt restauriert. Alle äusseren Mauern wurden belassen, und auch im Inneren wurde weitgehend mit alten Materialien gearbeitet. Brancaia verfügt über Appartements, die wochenweise gemitet werden können. Um die Ferien nicht nur erholsam, sondern auch angenehm zu gestalten, sind die Wohnungen mit allem Komfort ausgestattet.

Interview mit Barbara Widmer

(Gabriel Tinguely, September 2016)

Sie führen das Weingut in zweiter Generation. Was bedeutet das für Sie?
Genau genommen bin ich die erste Generation. Meine Eltern haben das Weingut 1981 gekauft. Ihr primärer Gedanke war jedoch, ein Ferienhaus in der Toskana zu erwerben und nicht etwa Winzer zu werden. Auf dem Anwesen befanden sich knapp 10 ha Rebfläche. Meine Eltern, beide Genussmenschen, welche schon immer viel Freude an gutem Essen und guten Weinen hatten, freundeten sich schnell mit dem Gedanken an, Hobby-Winzer zu werden.

Wir blieben als Familie jedoch in der Schweiz wohnhaft, wo mein Vater weiterhin seinen Beruf als Werber ausübte und meine Mutter begann, unseren Weinvertrieb in der Schweiz aufzubauen.

Seit 1998 bin ich für die Kelterung der Brancaia Weine zuständig und lebe mit meinen 2 Kindern auf dem Gut. In der Zwischenzeit werde ich im Hintergrund auch von meinen beiden Brüdern unterstützt. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass mindesten eines unserer Kinder einmal aktiv in den Betrieb einsteigen wird.

Ich empfinde es als grosses Privileg, jährlich einen Entwicklungsprozess von A bis Z miterleben zu dürfen. Zu sehen, wie Trauben heranwachsen und reifen, über die Arbeit im Keller bis zum Wiederfinden des eigenen Weines auf einer Weinliste im Restaurant macht mir Freude und erfüllt mich auch mit Stolz. Es ist eine sehr abwechslungsreiche Arbeit, die stark durch die Natur bestimmt wird und einem immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.


Wie gehen Sie mit dem Erbe um?
Wie schon erwähnt, empfinde ich meine Lebens-Situation als ein grosses Privileg. In den letzten 18 Jahren habe ich viel erreicht und sehe nach wie vor viel Potenzial in allen Bereichen. Daher   ist dieses   Erbe auch keine Last, sondern hoffentlich der Grundstein für eine lange und spannende Familiengeschichte.

Sie bewirtschaften Ihre Reben nach IP-Richtlinien. Diskutieren Sie auch über Bioanbau? Ist das ein Thema in der Toskana?
Es stimmt, offiziell arbeiten wir nach den IP-Richtlinien. In den meisten Jahren würden wir auch zu 100 Prozent den Bio-Richtlinien gerecht werden. Wir haben unsere Reblagen schon seit Jahrzehnten ganzjährig begrünt. Nebst dem Verzicht auf Herbizide kommen bei uns auch keine Pestizide zum Einsatz. Und dieses Jahr wird es die achte Ernte sein, wo wir vollständig auf Hefezugaben verzichten. Das heisst,   bei uns werden alle Weine spontan vergoren.

Falls wir spritzen müssen und die Wetterlage sehr unstabil ist, verwenden wir Produkte, die etwas besser am Blatt haften bleiben und nicht sofort beim nächsten Regen wieder abgewaschen werden. Der Wirkstoff als solcher ist Bio. Aber die Substanz, welche die Haftbarkeit verbessert, wird von den Bio-Richtlinien nicht toleriert. Wir empfinden es als ökologischer, möglichst wenig Spritzungen zu machen. Lassen Sie es mich so sagen: wir haben uns bisher nicht gegen Bio, aber gegen die offiziellen Bio-Richtlinien entschieden.

Bio ist in der Toskana ein grosses Thema und wird es auch bleiben. Gesunde, terroirtypische Trauben können nur mit maximalen Respekt gegenüber der Natur perfekt ausreifen und nur mit dem perfekten Traubengut kann man Spitzenweine keltern.

Seit über 30 Jahren stehen die Weine von Brancaia an der Spitze der Toskaner Produktion. Wie schafft man das?
Diese Anerkennung ist für uns die Bestätigung, dass uns oberstes und wichtigstes Motto richtig ist: immer die bestmögliche Qualität anzustreben. Sie sind auch mitunter Ansporn, auf unserem Weg keine Kompromisse zu machen. Das bedeutet auch, dass man sich und seine Entscheidungen immer wieder hinterfragen und sich den jahrgangsbedingten Situationen stellen muss. Es gibt dabei wenig, das absolut richtig oder falsch ist. Darum ist es umso wichtiger, dass man selbst von seinem Tun überzeugt ist. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, bleibt das oberste Gesetz für Top-Weine: grosse Weine können nur aus perfektem Traubengut entstehen!

Wein hat viele schöne Seiten. Eine davon ist, dass man nie ganz ankommt. Es gibt immer wieder Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln ;-)

Wie wichtig ist der Schweizer Markt?
Brancaia-Weine werden in über 30 Ländern weltweit vertrieben. Die Schweiz war von Anfang an einer unserer wichtigsten Märkte und dies ist auch über all die Jahre so geblieben. Der Weinkonsument in der Schweiz ist nicht nur sehr versiert, sondern auch markentreu.

Fühlen Sie sich mehr als Schweizerin oder als Italienerin?
Ich liebe Italien, ich geniesse es nicht nur hier Weine produzieren zu dürfen, sondern auch das leckere Essen, die Leute, die Kultur und natürlich das Wetter. Aber ich fühle mich definitiv als Schweizerin.

Es ist mir ein grosses Bedürfnisse, dass meine Kinder fast perfekt schweizerdeutsch sprechen. Am Sonntag gibt es regelmässig selbstgebackenen Zopf und auch sonst werden viele kulinarische und kulturelle Traditionen weiter gelebt.

Ob mein Kinder diese Frage in 20 Jahren genauso beantworten werden, weiss ich natürlich nicht.

Welches ist aktuell ihre grösste Herausforderung?
Die Natur und die Bedürfnisse der einzelnen Reblagen bestmöglich zu verstehen.

Welchen Wein – neben dem eigenen – würden Sie gerne einmal keltern?
Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und versuche daher immer wieder Neues - im Rebberg wie auch im Keller. Einige dieser Ideen, werden dann tatsächlich neue Brancaia Produkte - andere nicht. Natürlich stelle ich es mir toll vor, einen natürlichen Eiswein zu keltern. Aber die Tatsache, dass dies wohl in der Toskana nie möglich sein wird, stimmt mich nicht wirklich traurig.

Das Potential der Toskana empfinde ich nach wie vor als unendlich.

Generell ist es mit dem Wein wie mit den Menschen, er muss Charakter haben, in sich harmonisch sein und nicht mehr sein wollen als er wirklich ist. Und so sollen auch die Weine sein, die ich bisher vinifiziert habe und diejenigen, welche ich in Zukunft machen werde.

Was macht Barbara Widmer, wenn Sie nicht in den Reben oder im Keller arbeitet?
Für Brancaia bin ich natürlich auch regelmässig am Schreibtisch, genauso wie auch an Weinverantstaltungen auf der ganzen Welt.

Privat halten mich meine zwei Kinder, Nina (14) und Nicolas (12), unsere Hunde, Katzen und Schildkröten auf Trab. Ich liebe es zu kochen, zu lesen, im Garten zu arbeiten und, wenn noch Zeit bleibt, male ich sehr gerne.


Zurück