2016-10-25

Nationaler Aktionsplan Pestizide: Es braucht ambitioniertere Ziele

Die Umweltverbände BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF Schweiz begrüssen den Willen des Bundes, einen Nationalen Aktionsplan Pestizide umzusetzen. Doch für sie ist klar: Es braucht ambitioniertere Ziele und Massnahmen – sonst werden auch in Zukunft nicht einmal die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Sie fordern unter anderem eine Lenkungsabgabe auf Pestizide.

Der Einsatz von Pestiziden ist in der Schweiz besonders hoch. Dies ist zum einen ein Risiko für unsere Gesundheit, es schädigt aber auch die Biodiversität massiv. Pestizide belasten unser Trinkwasser, unser tägliches Essen, die Böden und die Fliessgewässer.

Nun soll der «Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln» des Bundes Abhilfe leisten, der noch bis zum 28. Oktober 2016 in Anhörung ist. Die Umweltverbände BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF Schweiz haben die Vorschläge des Bundes geprüft und kommen zu einem klaren Schluss: Der Aktionsplan braucht ambitioniertere Ziele – für die Zukunft der Landwirtschaft, der Biodiversität und der Bevölkerung der Schweiz. «Mit den jetzigen zaghaften Vorschlägen werden nicht einmal die gesetzlichen Vorgaben wie etwa die Grenzwerte für Fliessgewässer erfüllt», sagt Pascal König, Landwirtschaftsexperte
bei BirdLife Schweiz. «Darunter leidet nicht nur die Biodiversität, sondern auch der Ruf der Schweizer Landwirtschaft.»

Die wichtigsten Punkte, die verbessert werden müssen:

  • Bis 2026 sollen laut Entwurf des Bundes die Überschreitungen der gesetzlich vorgegebenen Pestizidkonzentrationen in Fliessgewässern lediglich halbiert werden. Dasselbe gilt auch für die Emissionen in naturnahe Nichtzielflächen (zum Beispiel Naturschutzgebiete). Ein Nationaler Aktionsplan müsste diese Gesetzesverstösse jedoch innerhalb kürzester Frist auf Null reduzieren.
  • Gemäss dem Entwurf des Bundes soll der Einsatz besonders gefährlicher Pestizide bis 2026 um 30% reduziert werden. Die Umweltverbände fordern hingegen ein Verbot von Pestiziden mit besonders hohem Gefahrenpotenzial1 bis 2020 und eine Reduktion von Pestiziden mit hohem Gefahrenpotenzial2 um 50% bis 2026.
  • Der Einsatz chemisch-synthetischer und besonders gefährlicher biologischer Pestizide für HobbyanwenderInnen ist zu verbieten – hier besteht kein ökonomisches oder öffentliches Interesse am uneingeschränkten Zugang. In Frankreich wurde ein solches Verbot bereits beschlossen. Die weiterhin zugelassenen Produkte reichen aus für die Anwendungen im Hobbybereich.
  • Ohne die Berechnungsgrundlagen offen zu legen, geht der Bund von einem Reduktionspotenzial der Anwendungen von Pestiziden von nur 12% in den nächsten zehn Jahren aus. Der Pestizidreduktionsplan3 von Vision Landwirtschaft hingegen kommt zum Schluss, dass das Reduktionspotenzial bei Anwendung eines griffigen Aktionsplanes bei 50% in den nächsten fünf Jahren liegt.
  • Das Leitziel des Aktionsplans – eine Halbierung der Risiken des Pestizideinsatzes – ist nutzlos, solange nicht klar ist, bis wann die Halbierung erfolgen soll und wie das Risiko effektiv gemessen und bewertet wird.
  • Auch im Zulassungssystem für Pestizide in der Schweiz gibt es Schwachstellen. Diese sind zu beheben. Eine Studie4 des Forschungsinstituts Interface schlägt fünf Massnahmen vor, die im Aktionsplan zu Berücksichtigen sind.

Für die Umweltverbände BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF Schweiz steht fest: Die Vorschläge im Aktionsplan sind lediglich ein kleiner, zaghafter Schritt in die richtige Richtung. „Für einen griffigen Aktionsplan, der zu einer notwendigen Reduktion der Belastung und des Risikos von Pestiziden führt, muss das Ambitionsniveau deutlich erhöht werden“, sagt Pascal König.

Dass sich der Pestizideinsatz schon bis 2020 um über 50% reduzieren liesse, geht aus einem in diesem Jahr veröffentlichten Pestizid-Reduktionsplan3 von Vision Landwirtschaft hervor, dessen Forderungen von einem breiten Bündnis aus Landwirtschafts-, Trinkwasserversorger-, Gewässerschutz-, Umwelt-, Gesundheits- und Konsumentenkreisen mitgetragen werden. Der Pestizid-Reduktionsplan (www.pestizidreduktionsplan.ch) zeigt konkret machbare Alternativen zur heutigen Verwendung von Pestiziden auf.

Keine Steuersubventionierung von Pestiziden
Eine kürzlich publizierte Studie der ETH Zürich und der Universität Bonn5 zu Lenkungsabgaben auf Pestizide in der Schweiz kam zum Schluss, dass eine richtig ausgestaltete Lenkungsabgabe, eingebettet in ein kohärentes Massnahmenpaket, einen Beitrag zu den Zielen des A ktionsplanes leisten könnte. Die selbe Studie kommt zudem zum Schluss, dass die Steuersubventionierung von Pestiziden aufgehoben werden sollte. Pestizide werden zurzeit mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 2.5% (Normalsteuersatz 8%) steuerlich bevorzugt. Die Umweltverbände fordern deshalb, eine Lenkungsabgabe im Sinn dieser Studie in den Aktionsplan aufzunehmen.

1 Gemäss KEMI 2008: http://www3.kemi.se/Documents/Bekampningsmedel/Docs_eng/SE_positionpapper_annenII_sep08.pdf

2 Kriterien (Pesticide Action Network HHP 2015): http://pan-international.org/wp-content/uploads/PAN_HHP_List.pdf

3 Pestizid-Reduktionsplan Schweiz: Aktuelle Situation, Reduktionsmöglichkeiten, Zielsetzungen und Massnahmen. www.pestizidreduktionsplan.ch

4 Landis Flurina, Bucher Noelle, Walker David (2016). Schweizer Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel. Kurzstudie zuhanden von BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF Schweiz, Interface Politikstudien Forschung und Beratung, Luzern. http://www.umweltallianz.ch/fileadmin/user_upload/_beispielDokumente/dokumente/bericht_zulassungsverfahren_pflanzenschutzmittel_wwf_2016_06_30_interface.pdf

5 R. Finger, T. Böcker, N. Möhring, T. Dalhaus (2016). Ökonomische Analyse des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln – Risikoaspekte und Kenungsabgaben. Bericht zu Händen des Bundesamts für Landwirtschaft. ETH Zürich und Universität Bonn, Oktober 2016. https://www.researchgate.net/profile/Robert_Finger/publication/309118923_Okonomische_Analyse_des_Einsatzes_von_Pflanzenschutzmitteln_-_Risikoaspekte_und_Lenkungsabgaben/links/57ffaca608ae6fc7fc650a5e.pdf?origin=publication_detail

(Quelle: Medienmitteilung von BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF Schweiz zum Ende der Vernehmlassung zum Nationalen Aktionsplan Pestizide.)

27.09.2016 – Greenpeace findet Pestizide im Schweizer Weinbau

Wein, Weintrauben und Weinberge in der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin sind häufig mit Pestiziden belastet. Das zeigen neue Greenpeace-Analysen. Bodenproben konventioneller Betriebe enthielten bis zu 18 verschiedene Pestizide gleichzeitig. Und: Sie enthielten auch mehr Kupfer als die Bodenproben aus Bio-Parzellen.

Greenpeace Schweiz hat zehn Schweizer Weine (acht konventionell, zwei Bio) aus den wichtigsten Rebbauregionen (Bielersee, Graubünden, Genfersee, Schaffhausen, Tessin, Wallis, Zürichsee) sowie sechs Rebberge (Bielersee, Genfersee, Schaffhausen, Zürichsee) durch ein unabhängiges Labor auf Pestizide untersuchen lassen. In den Rebbergen wurden Proben der (noch unreifen) Trauben sowie Bodenproben genommen, um ein Bild der Belastung der Umwelt zu erhalten.

Insgesamt wurden 33 verschiedene Pestizide gefunden, wie der Bericht «Pestizide im Schweizer Weinbau» zeigt: http://bit.ly/2dlDAJZ. Viele der gefundenen Stoffe sind auf der Greenpeace-Blacklist[1] oder würden die Kriterien für diese erfüllen. So stehen vier gefundene Pestizide im Verdacht, krebserregend zu sein, und sechs gefundene Wirkstoffe sind giftig für Bienen und Nützlinge. Pestizide, die in der Blacklist aufgeführt sind, sollten prioritär verboten werden, da sie eine zu hohe Toxizität für den Menschen und/oder die Umwelt aufweisen.

Pestizide sind zugelassen und überschreiten keine Grenzwerte
In allen acht konventionellen Weinen wurden Rückstände von mindestens zwei Pestiziden gefunden, die beiden Bio-Proben sind ohne Befund. Am stärksten belastet sind ein Merlot aus dem Tessin, ein Hallauer Blauburgunder sowie ein Pinot Noir aus Maienfeld. In sieben der acht konventionellen Weine wurden Spuren des umstrittenen Herbizids Glyphosat gefunden. Alle gefundenen Pestizide sind zugelassen und überschreiten keine Grenzwerte.

Alle konventionell angebauten Weintrauben waren sehr hoch mit Pestiziden belastet. Es wurden zwischen 4 und 13 Wirkstoffe gefunden, und dies in teilweise sehr hohen Konzentrationen. Für den Konsum wären diese Trauben nicht zugelassen, es gilt jedoch zu beachten, dass die Traubenproben im unreifen Zustand genommen wurden. Es ist damit zu rechnen, dass bis zur Ernte ein Grossteil der Pestizide ausgewaschen bzw. abgebaut werden. Eine Bio-Probe war komplett befundfrei, bei der anderen konnten Spuren zweier Wirkstoffe nachgewiesen werden. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um Abdrift benachbarter konventioneller Parzellen handelt.

Pestizide teilweise persistent und im Boden angereichert
In den Bodenproben aus konventionell bewirtschafteten Parzellen konnten zwischen 10 und 18 Pestizide nachgewiesen werden, teilweise auch Substanzen, die in den Trauben oder im Wein nicht gefunden wurden. Dies zeigt, dass Pestizide teilweise persistent sind und sich im Boden anreichern können. In den Proben aus Bio-Parzellen konnte ausschliesslich Kupfer gefunden werden. Interessant ist, dass der Kupfergehalt der Bio-Parzellen unter demjenigen konventioneller Parzellen liegt. Somit scheint das oft angebrachte Argument, dass Bio-Weinbauern mehr Kupfer einsetzen, zumindest fragwürdig.

Philippe Schenkel, Leiter der Landwirtschaftskampagne bei Greenpeace Schweiz, sagt dazu: «Wieder einmal zeigt sich die Pestizid-Intensität der Schweizer Landwirtschaft. Die in grossen Mengen in den Weinbergen ausgebrachten Pestizide schädigen Nützlinge, gefährden unsere Gewässer und landen schliesslich in unseren Weingläsern. Die untersuchten Bio-Parzellen zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist. Wir fordern die Politik auf, endlich mutige Schritte für eine Pestizidreduktion zu unternehmen.»

Diese neueste Untersuchung bestätigt frühere Studien und bezeugt den hohen Einsatz von Agrochemikalien in der Schweizer Landwirtschaft. Greenpeace fordert einen grundsätzlichen Wandel in der Schweizer Agrarpolitik: weg von einer auf synthetische Inputs angewiesenen industriellen Landwirtschaft hin zu einer echten Agrarökologie, welche die Produktion gesunder Lebensmittel und den Schutz der Biodiversität unter einen Hut bringt. Dazu braucht es einen Ausstiegsplan für chemisch-synthetische Pestizide, Investitionen in die Bio-Forschung, die Förderung der Umstellung sowie ein Umdenken bei Grossverteilern, KonsumentInnen und Bäuerinnen und Bauern. Der sich in Arbeit befindende «Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln» ist eine grosse Gelegenheit, diesen Wandel anzustossen.

(Quelle: Greenpeace/mc)


Zurück

Was sind Pestizide?

Pestizide (hier Synonym für Pflanzenschutzmittel) sind Substanzen, die Pflanzen im Garten oder auf dem Feld vor Insekten, Pilzen, Schnecken usw. schützen sollen. Hunderte verschiedenster Chemikalien und Mischungen werden als Pestizide in der Landwirtschaft, auf öffentlichen Flächen und privat eingesetzt. Oft unterscheidet man sie nach ihrem Zielorganismus; beispielsweise werden Fungizide gegen Pilze, Insektizide gegen Insekten und Herbizide gegen unerwünschte Pflanzen eingesetzt. Je nachdem, wie die aktiven Inhaltsstoffe der Pestizide gewonnen wurden, unterscheidet man zwischen chemisch-synthetischen Pestiziden, Pestiziden aus Grundstoffen (z.B. Kupfer und Schwefel) und Wirkstoffen aus biologischen Prozessen. Im Biolandbau werden keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt.