Unter dem Titel «Verdorbener Wein – chemische Altlasten ruinieren edle Tropfen» schreibt Volker Mrasek im Spiegel Online, dass der Korken womöglich zu unrecht verdächtigt wird, die muffige Note in edle Tropfen zu bringen.
Ein Stich ins Schimmlig-Muffige, ein Duft nach grünen Nüssen oder gar der modrige Geruch nach feuchter Rinde statt des Fruchtbouquets – so wünscht sich kein Weinliebhaber seinen Riesling oder Cabernet. «Der Korkenschmecker ist unter Winzern und Weinkennern gefürchtet: Er verdirbt teure Weine und verursacht Millionenschäden. Beim International Wine Challenge in London vor vier Jahren erwiesen sich 2,6 Prozent aller verkosteten Tropfen als korkstichig. Experten der University of California in Davis beziffern die Ausschussquote mit zwei bis sieben Prozent. Nach ihren Kalkulationen verhunzt der Korkton allein in den USA jedes Jahr Weine im Wert von 200 Millionen Dollar oder mehr. In Deutschland gab es Fälle, in denen Gerichte betroffenen Weingütern Schadenersatz in sechsstelliger Höhe zusprachen – und viele Weitere, in denen sich Korklieferanten und Kellereien diskret auf einen Vergleich einigten», schreibt Volker Mrasek.
Alternativen zum Naturkork sind Stopfen aus Kunststoff, Glas oder Schraubverschlüsse. Doch auch die sind nicht über alle Zweifel erhaben. Laufende Untersuchungen im Fachbereich für Kellerwirtschaft an der Forschungsanstalt Geisenheim in Hessen belegen: Der Fehlton tritt immer öfter auch bei der Verwendung von Flaschenstopfen aus Kunststoff auf, und kontaminiert werden die Weine dabei erst in der Kellerei. «Der Begriff Korkschmecker ist fragwürdig», urteilt Rainer Jung, Önologe und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Kellerwirtschaft in Geisenheim.
Dort schreibt Volker Schaefer, auch er Önologe, derzeit an seiner Doktorarbeit über die mysteriösen Fehltöne. Laut Jung ist es die erste umfassende wissenschaftliche Studie zum Thema. Durch Analysen vor Ort ist Schaefer auf chemische Altlasten in zahlreichen Weinkellern gestoßen, deren langer Atem Winzern noch heute zu schaffen macht und ihre Weine ruiniert.
Geschmackskiller in alten Gemäuern
Holzgebälk oder -paletten in den Kellern enthalten demnach oft Spuren von Pentachlorphenol (PCP), einem giftigen, längst verbotenen, aber früher intensiv verwendeten Holzschutzmittel. In dem feuchten Milieu der alten, meist schlecht belüfteten Kellerräume nisten sich Schimmelpilze im Holz ein und wandeln PCP in eine Substanz namens Trichloranisol (TCA) um, die dann in die Raumluft entweicht.
Dieser Stoff «lagert sich stark an jeglicher Form organischer Materie an», so Schaefer – also auch an Kunststoffkorken, die in einem belasteten Raum lagern, und sogar an Zellulose-Sieben, die bei der Filtrierung von Weinen zum Einsatz kommen. Laut Jung gab es früher gar Fassbehandlungsmittel, die chlorhaltig waren und sich heute als TCA-Quelle entpuppen.
Punktuelle Untersuchungen zu der Problematik hat auch die staatliche Agrarforschungsanstalt in Wädenswil (ACW) in der Schweiz durchgeführt – und kam zu ähnlichen Befunden. So berichtet der Biochemiker Frank Hesford ebenfalls von einer Kellerei, in der die Außenhaut von Holzfässern früher mit Pentachlorphenol gestrichen worden sei. Den Wein habe der Betrieb zwar nicht in den alten Fässern heranreifen lassen, sondern in Stahltanks in einem Nebenraum. Gleichwohl sei er mit TCA aus dem Holzschutzmittel kontaminiert worden. «Das Problem tritt im Bordeaux-Gebiet häufiger auf», sagt der Leiter der ACW-Arbeitsgruppe für Lebensmittel-Mikrobiologie und Spezialanalytik.
Die Verwechslung mit den gefürchteten Korkschmeckern verwundert nicht: Trichloranisol ist exakt jener Geschmackskiller, der mit fehlerhaften Naturkorken in Verbindung gebracht wird. Auch die schleppen ein Altlasten-Problem mit sich herum. Die Rinde der im Mittelmeerraum wachsenden Korkeichen enthält unweigerlich Spuren chlorhaltiger Schadstoffe, die sich überall in der Umwelt verbreitet haben und auch heute noch anzutreffen sind. Wird der Kork feucht, setzt auch in seinen Poren der mikrobielle Umbau der Chlorgifte in TCA ein. Wird das Naturmaterial vor der Auslieferung nicht anständig gereinigt, steckt das Trichloranisol am Ende auch im Flaschenkorken.
Nach bisherigen Erfahrungen reichen schon ein bis zwei Nanogramm (Milliardstel Gramm) TCA aus, um Wein zu verkorksen. In Geisenheim hat man die Geschmacksschwelle im Anschluss an sensorische Tests mit Riesling und Gewürztraminer jetzt sogar noch weiter abgesenkt, auf 0,5 Nanogramm.
Schaefer berichtet von einem Fall, in dem Müller-Thurgau bis zu 3,7 Nanogramm TCA pro Liter enthielt, obwohl der Weißwein in Flaschen mit Schraubverschluss abgefüllt war. Bei Untersuchungen im Weingut konnten die Geisenheimer Forscher das Rätsel lösen. Im alten, unbelüfteten Korklager stapelten sich Holzpaletten, die mit Chlorchemikalien getränkt worden waren. Die Raumluft wies entsprechend hohe TCA-Werte von 20 Nanogramm pro Liter auf. Just in diesem Kellerbereich hatte der Winzer die Kunststoffkorken eine Saison lang deponiert.
Viele Korkschmecker gehen auf das Konto chemischer Altlasten
Wie viele vermeintliche Korkschmecker gehen aber tatsächlich auf das Konto von Altlasten in der Kellerei?
Die Forscher lassen diese Frage unbeantwortet: «Eine statistische Erhebung haben wir nicht gemacht», sagt Kellerwirtschaftsexperte Jung. Nach Schaefers Meinung tritt das Phänomen «öfter auf, als man denkt». Chemische Altlasten, die noch aus den siebziger und achtziger Jahren stammten, seien «sehr häufig» in älteren Weinbau-Betrieben festzustellen.
Der Önologe verweist auch auf Fälle, in denen Winzer verseuchtes Holz entfernt und Wände neu verputzt haben: «Heute klagen sie nicht mehr über Mufftöne im Wein.» Allerdings: Gerade in Deutschland gibt es unzählige kleine Weingüter, die nicht die finanziellen Mittel haben, um ihre Keller zu sanieren.
Beim Deutschen Kork-Verband mit Sitz in Bielefeld nimmt man die aktuellen Forschungsergebnisse mit einer gewissen Genugtuung auf. «Sie führen dazu, dass dem Naturkorken nicht mehr automatisch die Schuld zugewiesen wird», sagt Geschäftsführer Frank Müller im Gespräch mit Spiegel Online.
Vor rund zehn Jahren wurde noch massenhaft minderwertige Ware auf den Markt geworfen, um die explodierende Nachfrage unter anderem in Osteuropa zu befriedigen. Damals galt jeder zehnte Flaschenwein als dumpf-muffig, der Ruf des Naturkorkens war ruiniert. Inzwischen sind laut Müller Qualitätskontrollen in der Branche die Regel.
Wie hoch die Korkton-Quote heute ist, weiß niemand genau. Von Herstellerseite hört man oft, dass nur noch jeder hundertste Wein betroffen sei. Bei rund 500 Millionen Flaschen, die deutsche Winzerbetriebe nach Verbandsangaben nach wie vor mit Naturkorken verschließen, wären das immer noch fünf Millionen Korkschmecker pro Jahr – was eine Schadenssumme im siebenstelligen Bereich nahelegt.
Das nächste Problem droht
Die Geisenheimer Kellerexperten beunruhigt unterdessen eine neue Entwicklung. Laut Schaefer häufen sich Fälle, bei denen nicht Trichloranisol Weine verhunzt, sondern das chemisch eng verwandte Tribromanisol (TBA), ein ebenso potenter Geschmackskiller. Er stammt nicht aus chemischen Altlasten, sondern aus bromhaltigen Flammschutzmitteln, die noch heute verwendet werden.
Die hessischen Önologen haben die TBA-Vorläufer nicht nur in Holzpaletten nachgewiesen, sondern auch in den Kartonverpackungen von Flaschenkorken. Ihr Schweizer Kollege Hesford kennt Fälle, in denen sich Kunststoffverschlüsse das Tribromanisol beim Schiffstransport aus Übersee eingefangen haben: «Die Container, in denen sie untergebracht waren, hatten einen Holzboden, und der war mit einem bromhaltigen Mittel gegen Pilzbefall imprägniert.» Die Plastikkorken seien zwar in Kunststoffsäcken verpackt gewesen. Das habe die Übertragung von TBA aber nicht verhindert.
Seit Beginn ihrer Studie im Sommer 2007 haben die Geisenheimer Forscher Analysen in gut drei Dutzend deutschen und auch einigen österreichischen Weingütern durchgeführt. In rund der Hälfte der Fälle konnten sie nach eigenen Angaben Tribromanisol nachweisen. Häufig treten die beiden Geschmackskiller TBA und TCA sogar parallel auf – die Weinkeller erweisen sich als doppelte Schadstoffquelle.
Schaefer glaubt zwar, «dass wir die Altlast der chlorierten Anisole irgendwann überwinden werden». Doch der Nachwuchsforscher muss feststellen, dass die Fortsetzung schon folgt. Mit den bromierten Flamm- und Pilzschutzmitteln, so der Önologe, «schaffen wir uns das nächste Problem.»