2021-03-26

Wellentänzer – Weingut Irsslinger reift Wein im Zürichsee

Wasser zu Wein beschreibt die Geschichte der Hochzeit zu Kana. Wasser im Wein gibt es bei Schorle, aber auch in zahlreichen Weinskandalen. Wein auf Wasser dient der Reife. Dass die schaukelnde Bewegung während dem Tranpsort auf Schiffen der Qualität förderlich war, entdeckte Lous-Gaspard Estournel. Wein im Wasser ist ein neuer Trend. 2010 fanden Taucher in einem gesunkenen Schiff Champanger, der 170 Jahre in der Tiefe verbrachte und zum grössten Teil noch hervorragend schmeckte. Winzer in Küstennähe begannen mit Unterwasserexperimenten. In der Schweiz versenkte das Weinhaus Badoux aus Aigle/VD als erstes 400 Flaschen Wein im Genfersee. Heute arbeiten noch Robert Irsslinger vom gleichnamigen Weingut in Wangen/SZ und die Brüder Gabriele und ?Martino Bianchi vom Bio-Weingut Bianchi aus Arogno/TI mit der Unterwasserreifung.

Chantal und Robert Irsslinger reiften den zweiten Jahrgang ihres Wellentänzers beim Yachtclub Zürich. Die Boje schwimmt im Hintergrund zwischen ihren Köpfen. (Bilder Gabriel Tinguely)

Nach dem ersten Versuch in Hafen von Rapperswil haben Chantal und Rober Irsslinger heute den zweiten Jahrgang ihres Wellentänzers aus dem Zürichsee geborgen. Dieser reifte von Ende November 2020 bis Ende März 2021 in einer speziell angefertigten Boje beim Yachtclub Zürich. «In Rapperswil war der Wellengang hinter einer Mole weniger konstant wie hier im Seebecken von Zürich», sagte Chantal Irsslinger. «Doch der Wellentänzer reifte viel komplexer als der Zwillingswein im Keller.» Das stete Schaukeln bewirkt eine natürliche Batonnage. «Ich bin sehr gespant, wie sich der Wein präsentieren wird», wundert sich Robert Irsslinger.

Während 140 Tagen schaukelte die doppelwandige Boje im Zürichsee.

Auswassern der doppelwandigen, 1000 Liter fassenden Spezialkonstruktion.

Das Bergen der Wellentänzer-Boje war ein Spektakel, das zahlreiche Schaulustige für einen Moment innehalten und zuschauen liess.

Die Fortsetzung des Experiments ist geglückt. Robert Irsslinger ist zufrieden.

Nach 140 Tagen Schaukeln im Takt der Wellen des Zürichsees, waren die Hefen aufgewirbelt und der Wein natürlich trübe. Bei der Verkostung hielt sich der Hefeton dezent im Hintergrund. Das Bouquet präsentierte sich zurückhaltend, duftete dezent nach weissen Blüten, Pfirsich und Birne. Knackig und frisch am Gaumen hat der Wein Stoff und wieder viel Birnenaroma, das lange anhält. Der Winzer und Önologe Robert Irsslinger ist zufrieden. «Noch ist dieser Wein aus der Rebsorte Johanniter ein ungeschliffener Diamant. Jetzt kommt er in den Keller, wo er weiter reift und sich die Hefen absetzen können.»

Die Idee – Geburt des Wellentänzers
Robert Irsslingers österreichischer Winzerkollege Fabian Sloboda vom Weingut Sloboda am Neusiedlersee wollte es wissen: Wie verhält sich Wein im See? Was bewirkt es, wenn der Wein stetig auf natürliche Weise während den ersten Monaten seiner Reife auf der Hefe bewegt wird? Ist der Unterschied zum im Keller reifenden Wein sensorisch erfassbar? Dies Fragen liessen Sloboda nicht mehr los. Er entwickelte zusammen mit dem Künstler und Grafiker Nikolaus Eberstaller ein Konzept, das auf geschichtlichen Hintergründen basiert. Dies fanden die beiden so spannend, dass sie es gleich selber ausprobieren wollten. Et voilà, der Wellentänzer war geboren.

Geschichtlicher Hintergrund
Louis-Gaspard d’Estournel (1753 bis 1844) war ein Junggeselle einer alten Weinbauernfamilie in Saint-Estèphe. Er ist nicht nur der Gründer des weltberühmten Bordelaiser Weingutes Château Cos d’Estournel, sondern auch der erste, der begriff, wie sehr der Wein gewinnt, wenn er schaukeln darf. Estournel handelte erfolgreich per Schiff nach Afrika, Arabien und bis nach Indien. Doch der Markt und die Nachfrage nach Wein brach nach einiger Zeit zusammen und die Geschäfte liefen schlecht. So musste er alle Weinfässer, die bereits verschifft wurden wieder zurückholen. Als er dessen Qualität mit der zuhause verbliebenen Charge verglich, verflog seine schlechte Laune schneller als gedacht: der weitgereiste Wein schmeckte grossartig. Noch mehr, er schmeckte besser als jener, der bei ihm im Keller lagerte. Estorunel erkannte recht bald, dass das stete Schaukeln im Schiffsbauch dem in Holzfässern gelagerten Wein guttat. Er nutzte die Erkenntnis, um einen Marketingcoup zu landen: die zurückgekehrten Weine stempelte er mit einem «R» für «retour des Indes» – zurück aus Indien. Der Wein ging weg wie warme Weggli. Also entschied er, dass ab nun alle seine Weine eine Schiffsreise unternehmen sollten, bevor sie in den Verkauf gelangen durften. Ökologisch völlig unbedenklich, denn Schiffe fuhren damals alle noch mit Wind. Man könnte sagen: der ökologische Fussabdruck blieb klein, der Wein wurde trotzdem gross.

Der aller erste Wellentänzer-Wein
Fabian Sloboda und Nikolaus Eberstaller waren sich also einig: Sie wollten einen Wellentänzer-Wein auf den Markt bringen und entworfen hierfür 2017 ein revolutionäres Konzept inklusive eigener Stahlboje. Das ganze Projekt wurde von Anfang an wissenschaftlich begleitet.
Ihr Plan ging auf: der aller erste Wellentänzer-Wein aus der Sorte Grauburgunder entwickelte während seiner Reife über 144 Tage in der Boje im Neusiedlersee einen einzigartigen Charakter, der vom Gourmetmagazin Falstaff mit 92 Punkten geadelt wurde (Jahrgang 2017). Der 2018er erhielt ein Jahr später sogar beachtliche 93 Punkte!

Die Boje
Fabian Sloboda liess für seine Idee 2017 eine eigens konstruierte, doppelwandige Boje bauen. Diese Boje beinhaltet zwei Kammern. Die erste, äussere Kammer ist mit Luft gefüllt, damit die Boje schwimmt. Die zweite, innere Kammer mit Weisswein. Der Wein wird dabei einer ebenso natürlich verursachten Temperaturkurve ausgesetzt. Damit sich diese «sanft» verhält, wurde die Boje so konstruiert, dass der Wein nicht von direkter Sonnenbestrahlung, sondern ausschliesslich von der Seetemperatur beeinflusst wird. Die Tänzerin, die symbolisch für den Wellentänzer steht, wurde von Nikolaus Eberstaller speziell dafür entworfen.
Anfang des Jahres 2019 erhielten das Winzerpaar aus Wangen/SZ dann die Baupläne für diese spezielle Weinboje und liessen sie in der Schweiz nachbauen, natürlich inklusive der Wellentänzerin.

Der Wellentänzer vom Zürichsee
Ende 2018 lud Fabian Sloboda die Schweizer ein, seine Wellentänzer-Partner zu werden. Diese waren auf Anhieb begeistert und mussten sich das nicht lange überlegen. Nur zu gerne präsentieren sie zusammen dieses Phänomen über die Landesgrenze hinaus. Und so kommen Irsslingers nun zu ihrem Wellentänzer vom Zürichsee.

Die Trauben für den Zürcher Wellentänzer – der Sorte Johanniter – werden von Hand geerntet und direkt  auf dem Weingut verarbeitet. Nach der natürlichen Gärung wird die Weinmenge halbiert. Eine Hälfte füllen Chantal und Rober Irsslinger in die eigens dafür gebaute Boje. Die zweite Hälfte Wein aber bleibt bei ihnen auf dem Weingut im Keller und sie behandeln ihn genauso wie jeden anderen Weisswein auch. Aus diesem Teil entsteht nämlich der sogenannte Zwillingswein. Dieser gibt ihnen nämlich die Chance, labortechnisch sowie auch in der Degustation einen Unterschied zum Wellentänzer aufzeigen zu können.

Der erste Schweizer Wellentänzer-Wein wurde für den Zeitraum vom 8. November 2019 bis 27. März 2020 im Hafen von Rapperswil-Jona eingewassert. «Die Resonanz war riesig und wir waren überwältigt von dem grossen Interesse. Unser erster Wellentänzer-Wein war innert wenigen Wochen in Form von Konsignationen bereits vor der Abfüllung ausverkauft. Auch wurde uns durch die unabhängige Analyse vom Weinbauzentrum Wädenswil bestätigt, dass der Wellentänzer diverse Unterschiede zu seinem Zwilling vom Keller aufzeigt. Somit haben auch wir in der Schweiz die Bestätigung, dass der Wellengang sehr wohl positive Wirkung auf den Wein zeigt.»

Normalerweise endet die Terroir-Prägung nach der Ernte der Trauben. Nicht so im Falle des Wellentänzers. Hier reift auch der Wein nur dank dem lebendigen Zürichsee zu etwas ganz Besonderem.
Die aufzuwendende künstliche Energie dafür: 0 Prozent. Die genutzte natürliche Energie dafür: 100 Prozent.

(Quellen: Gabriel Tinguely/Webseite des Weinguts Irsslinger)


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